„wissen“ scheint mehr denn je Herausforderung. Nicht nur verändern sich die Wissensinhalte – das, was die Menschen zu wissen glauben – rasant und erreichen immer neue Stufen der Komplexität. Vor allem auch die Wissenspraktiken und Wissensordnungen sind zunehmend in Bewegung: Wie Wissen erzeugt, validiert, kommuniziert, verworfen oder bewusst verzerrt wird, wer was wann und wie zu wissen glaubt und umzusetzen versucht, wie sich verschiedene, konkurrierende Wissensregime in unterschiedlichen sozialen und politischen (Wissens-)Kontexten zueinander verhalten, wird derzeit besonders intensiv und neu ausgehandelt. Dabei kommt im medialen Gefüge der Wissensdynamiken dem Visuellen eine Schlüsselstellung zu. Auch dieses scheint in den letzten Jahren nochmals entscheidend an Bedeutung gewonnen zu haben. Zu fragen ist, welche Rolle die (historisch entwickelte) Sonderstellung der Künste und des künstlerischen Wissens in diesen Zusammenhängen gespielt hat und zukünftig spielen kann. „wissen“ als Prozess im weitesten Sinne mit konkurrierenden, pluralen, widersprüchlichen, selten endgültigen Erkenntnissen und Überzeugungen stellt sich so in neuer Dringlichkeit als zentrale Analyse-Aufgabe sowohl etablierter als auch neuer Bereiche und Herangehensweisen der Kunstgeschichte dar.
Diese Herausforderungen von „wissen“ in ihrer Verschränkung von aktuellen und historischen Perspektiven adressiert der 38. Deutsche Kongress für Kunstgeschichte in München 2026. In neun Sektionen wird es darum gehen, ein möglichst breites Fragenspektrum zu Wissen, Bildkünsten und verschiedensten Formen von visuellem Weltverständnis und Welterklärung im weitesten Sinne zu diskutieren: von praktischem Werkstatt-Wissen über die Geschichte der Disziplin und ihrer Institutionen bis hin zu Chancen und Gefahren von Digitalem und KI. Das Thema „wissen“ erlaubt zudem, die Entwicklungen von Kunstgeschichte und (interdisziplinärer) Bildwissenschaft der letzten drei Jahrzehnte zu evaluieren. Alle Sektionen stehen dabei historischen wie aktuellen Themenvorschlägen offen.
Der Vorstand des Deutschen Verbandes für Kunstgeschichte e.V. möchte gemeinsam mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte und der Ludwig-Maximilians-Universität München Kolleginnen und Kollegen für eine intensive Diskussion gewinnen. Erbeten werden Beiträge aus allen Arbeitsgebieten und Berufsgruppen der Kunstgeschichte und benachbarter Disziplinen, von Personen auf allen Karrierestufen sowie aus dem In- und Ausland.
Für jeden Vorschlag kann ein Exposé von maximal 2.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) in der Geschäftsstelle des Verbandes in einer offenen oder bearbeitbaren Datei (akzeptierte Formate: .docx, .odt, .rtf, .txt) per E-Mail an eingereicht werden. Wir bitten zudem um die Zusendung einer Kurzbiografie von max. 2.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) in einer separaten Datei sowie der Kontaktdaten und nach Möglichkeit auch der persönlichen ORCID iD.
Die Auswahl der Vorschläge (pro Sektion fünf 20-minütige Vorträge) werden die Kuratierenden der Sektionen, Verbandsvorstand und Ortskomitee gemeinsam vornehmen.
Von den ausgewählten Referentinnen und Referenten wird erwartet, dass sie – sofern eine kunsthistorische Ausbildung vorliegt und sie im Inland ansässig sind – spätestens zu Beginn des Kongressjahres Mitglieder im Deutschen Verband für Kunstgeschichte sind.
Rückfragen zur Bewerbung richten Sie bitte an die Geschäftsstelle des Deutschen Verbandes für Kunstgeschichte e.V. in Bonn ().
Einsendeschluss für alle Bewerbungen ist der 8. Juni 2025, 18:00 Uhr.
Wie für jede Wissenschaftsgeschichte gilt auch für diejenige der Kunstgeschichte, dass sie nicht linear, sondern in Sprüngen verläuft. Verfestigung und Auflösung von Erkenntnissen und Überzeugungen wechseln sich ab, abhängig von Konjunkturen bestimmter Methoden, Modelle und Narrative. Die Sektion untersucht, wie sich zu unterschiedlichen Momenten die Kunstgeschichte als Wissenschaft im Prozess zwischen Konflikt und Konsens herausbildet und welche Faktoren hierfür bedeutsam sind. Wir freuen uns über Beiträge zu folgenden Fragen: 1. Wer oder was schafft Wissen in der Kunstgeschichte? Da die Rolle einzelner Gelehrter meist überschätzt wird, soll das Augenmerk auf Diskursen und Denkkollektiven liegen, die Paradigmen am Leben halten oder zu ihrem Wechsel beitragen. 2. Wie wird Wissen vernetzt und gebündelt – und wie dekonstruiert? Untersucht werden sollen Praktiken, Dynamiken, Medien und Instrumente der Verfestigung und Auflösung von Wissen (beispielsweise mit Blick auf Enzyklopädien und Überblickswerke). 3. In welchem Verhältnis steht das Wissen der Kunstgeschichte zu ihrem gesellschaftlichen Außen? Die Wissenschaftsgeschichte tendiert dazu, nur wissenschaftsimmanente Faktoren wie Methodendiskussionen etc. als ausschlaggebend für ihren Wandel zu erachten. Wie aber ist das Verhältnis des jeweiligen kunsthistorischen Wissens zu gesellschaftlichen Debatten, zu ökonomischen und (wissenschafts-)politischen Entscheidungen, die es generieren, formatieren, subventionieren oder auch verhindern?
Kunsthistorisches Wissen ist in seiner Entstehung, seiner Formierung und seiner Etablierung immer Ein- und Ausgrenzungsprozessen unterworfen, die durch Organisationsstrukturen befördert werden. Der Deutsche Verband für Kunstgeschichte nimmt den in seiner Mitgliederversammlung 2024 erteilten Auftrag, die Auseinandersetzung mit seiner Geschichte voranzutreiben, auf und bietet eine Sektion zur historischen Selbstreflexion der Disziplin anhand prägender Konstellationen der Verbandsgeschichte an. Sie lädt alle Kolleginnen und Kollegen dazu ein, dieses diskursive Feld zu gestalten und zu strukturieren, um durch die historische Analyse eine Verortung der Disziplin gegenüber den Herausforderungen der Gegenwart zu leisten. Verbandsgeschichte wäre hier zu denken im Unterschied zur – aber gleichzeitig im Austausch mit – Institutionsgeschichte, Organisationsgeschichte, Fachgeschichte, Wissenschaftsgeschichte und Wissensgeschichte einerseits und Zeit- und Kulturgeschichte andererseits. Zu sondieren wären dabei etwa folgende Gebiete:
Formative Phasen des Verbandes (wie 1948/49, 1968–70 oder 1989/90); Brüche und Kontinuitäten; deutsch-deutsche Parallelen, Unterschiede, Kontakte; Auslassungen, Ausgrenzungen, Tabus und Traumata; europäische Dimensionen fachlicher Selbstvergewisserung; (infra-)strukturelle Entwicklungen der Disziplin; Berufsgruppen und berufspolitische Fragen.
Beiträge aus der Community sind willkommen. Ziel der Sektion ist die Kartierung des Gebietes mit dem längerfristigen Ziel der Erarbeitung einer Geschichte des Verbandes.
Bilder sind zentrale Werkzeuge wissenschaftlicher Erkenntnis und Teil der Theoriebildung in der Wissensproduktion. Seit der Antike dienen Illustrationen der Dokumentation und Modellierung von Wissen, mit den Techniken der Druckgrafik begann die Verbreitung und Standardisierung wissenschaftlicher Darstellungen. Mit der Fotografie entstanden im 19. Jahrhundert Abbildungsverfahren, die ebenso Wissenschaftsfelder wie Astronomie und Medizin revolutionierten wie sie Kunstgeschichte und Archäologie als formbezogene Disziplinen ermöglichten, indem sie neue Objektivitätsansprüche und Dokumentationsmöglichkeiten etablierten. Heute prägen computergenerierte Visualisierungen, KI-gestützte Bildanalysen und 3D-Technologien Forschung, Lehre und die Kommunikation darüber. Diese Sektion ruft zu Beiträgen auf, die den Wandel bildbasierter Wissenspraktiken in den Blick nehmen und dabei ihre historisch-epistemologischen Bedeutungen in den Fokus setzen. Zu fragen wäre u. a.: Wer waren und sind Produzentinnen und Produzenten von wissenschaftlichen Bildern, in welchen Netzwerken und Infrastrukturen? Wie wurden die Bilder zugänglich gemacht, konsumiert und angewendet? Was ist und war historisches Wissen wert auch in Hinblick auf Bilder-Manipulation und wachsendes Misstrauen gegenüber Bildern? Wie haben sich die Anforderungen und Verantwortlichkeiten für Bilder in einer globalen Wissenschaft gewandelt?
Von der Vormoderne bis heute prägen populäre Bilder kollektive Vorstellungen und werden durch diese gleichsam dynamisch geprägt. Sie sind weit verbreitet, wiedererkennbar und in Alltagswissen sowie kulturelle Praktiken eingebunden. Sie färben gesellschaftliche Debatten und wirken auf den kunsthistorischen ‚Kanon‘ zurück. Ihr Wissen entfaltet sich in visuellen Kulturen durch Wiederholung, Zirkulation und Aneignung. Untersucht werden Mechanismen der Verbreitung und Transformation: Welche Inhalte transportieren populäre Bilder (Heiligenbilder, Flugblätter, Wandschmuck, Werbung, Key Visuals, Sehenswürdigkeiten, Memes, virtuelle Rekonstruktionen etc.)? Wie verändern sich Deutung und Funktion durch ihre Popularität? In welchen politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Strategien werden sie genutzt? Welche Wirkmacht entfalten sie in diesen Kontexten? Auch ihr kunsthistorischer Status steht zur Diskussion: Welche Wertvorstellungen von ‚high‘ und ‚low‘ bestimmen weiterhin ihre Definition(en)? Wie beeinflussen diese Forschung, Museen und Denkmalpflege? Welche methodischen und vermittlerischen Herausforderungen stellen sich dadurch? Die Sektion lädt dazu ein, populäre Bilder als aktive Wissensformen interdisziplinär zu untersuchen.
Mit der Entstehung der Restaurierungswissenschaften im 20. Jahrhundert erlangte das Wissen über die materiellen und technischen Aspekte von Kunstwerken einen neuen epistemischen Status, indem es die bis dahin vor allem empirischen Kompetenzen in den Bereich der sogenannten exakten Wissenschaften überführte. Gleichzeitig suchten auch Archäologie, Soziologie und Anthropologie sowie die traditionell ideen- und textfixierten Kunstwissenschaften neue Zugänge zum Artefakt. Mit dem Material Turn wuchs das Interesse am ‚Gemachtsein‘ von Objekten, an Verfahren und Erfahrung sowie an den Theorien von Agency und Affordancy; inzwischen hat sich international die Technical Art History etabliert. Während das Thema aus der Forschung nicht mehr wegzudenken ist, bleibt es in der Vermittlung weitgehend unsichtbar.
Die Sektion fragt nach verschiedenen Aspekten kunsttechnologischen Wissens: Wie es entsteht und weitergegeben wird (Werkstatt, Mobilität, Transfer), wie man es praktisch nutzt (Veränderungen, Pflege, Restaurierung), wo es sich manifestiert (Objekte, Texte, Erfahrungen) und wo es Berücksichtigung findet (Forschung, Lehre, Museen). Wir freuen uns besonders über Vorschläge von Kolleginnen und Kollegen aus den Restaurierungswissenschaften und Museen.
Die Sektion lotet die epistemische Dimension digitaler Verfahren und Technologien in der kunsthistorischen Praxis in ihrer historischen Entwicklung aus: Gefragt wird danach, wie sich die Erforschung und Vermittlung von Kunst und Bildern durch digitale Operationen der Erfassung, Analyse und (Re-)Konstruktion verändern. Das Spektrum der möglichen Beiträge soll das Verständnis einer Wissensgeschichte des Digitalen aus kunsthistorischer Perspektive erweitern, indem etwa Praktiken berücksichtigt werden, die der elektronischen Datenverarbeitung in der Kunstgeschichte vorausgehen (Kataloge, Statistiken, Diagramme) oder digitale Methoden und Daten in der künstlerischen Produktion (,Computerkunst‘) auf ihre epistemische Funktion hin befragt werden. Nicht zuletzt möchte die Sektion den aktuellen Einsatz digitaler Verfahren und Infrastrukturen in der Disziplin Kunstgeschichte, einschließlich Social Media und sogenannter KI, im Hinblick auf forschungstheoretische und ‑politische sowie gesellschaftliche und ethische Herausforderungen diskutieren.
Bilder und Bildkünste spielen in Globalisierungsprozessen eine zentrale Rolle: als Kommunikationsmittel, für die Wissensdokumentation und den Wissenstransfer, aus Neugierde und ästhetischem Interesse, als Ware usw. Dies wird nicht erst heute betont, damit waren etwa bereits Reisende im 16. Jahrhundert konfrontiert. Vorausgesetzt wird (immer noch und heute vielleicht mehr denn je), dass Bildwahrnehmung eine Art universal-gleichförmiges Vermögen sei. Die Sektion will dagegen die globalen ‚Inkommensurabilitäten‘ des Bilder-Wissens, die Missverständnisse, Entdifferenzierungen, Gefahren über die Jahrhunderte hinweg untersuchen. Das Spektrum dieser ‚Inkommensurabilitäten‘ kann dabei von technischen Hürden (ein unbekanntes Medium wird in seiner Darstellungsform nicht verstanden, ein Equipment für die Wiedergabe steht nicht zur Verfügung …) bis hin zu absichtlichem Nicht-Zur-Kenntnis-Nehmen reichen. Willkommen sind Beiträge und Beispiele, bei denen das lokale (oder in anderer Hinsicht gruppenspezifische) Verständnis global verbreiteter Bilder nicht mit der ursprünglichen Intention übereinstimmt oder nicht verstanden wird oder werden kann. Für die aktuelle Kunstgeschichte und Bildwissenschaft ergibt sich aus dieser Konstellation des Missverstehens unter dem Anschein des Mühelosen besondere Verantwortung.
Wie manifestiert sich Wissen materiell, und welche epistemischen Konsequenzen folgen daraus? Setzt Erkenntnis Wissen voraus oder führt sie zu Wissen, und welche Annäherungen an diese grundlegenden Fragen ermöglichen künstlerische und räumliche Konfigurationen? Die Sektion untersucht die komplexen Beziehungen zwischen der materiellen Gestaltung von Wissensbehältern – seien es Kunstwerke oder Räume – und deren Funktion bei der Produktion, Speicherung und Vermittlung von Wissen. Im Fokus stehen dabei ebenfalls die Dynamiken von Verbergen und Öffnen, Enthüllen und Verhüllen, von Opazität und Transparenz, die sowohl in den Werken selbst als auch im praktischen Umgang mit diesen wirksam werden. Wer bestimmt über die Zugänglichkeit und die Dekodierung von Wissensbehältern? Wir laden zur Einreichung von Beiträgen ein, in denen diese Fragen anhand konkreter Objekte aus verschiedenen Gattungen, Zeiten und kulturellen Konstellationen exemplarisch untersucht werden. Dabei würden wir uns insbesondere auch über museale Perspektiven freuen.
Diese Sektion lädt dazu ein, sich künstlerischem und kunstwissenschaftlichem Wissen jenseits von textlichen oder mündlichen Überlieferungen zu widmen. Gemeint sind körperbasierte Praktiken der Produktion und Vermittlung von Wissen in historischer und zeitgenössischer Perspektive. Dieses Körperwissen kann in spirituellen oder nicht-sakralen Ritualen, performativen Aufführungen, Choreografien und gemeinschaftlichen somatischen Praktiken in Erscheinung treten. Es kann jedoch auch um das ‚Machen‘ von Kunst/Objekten, etwa kunsthandwerkliches Wissen, gehen, das gemeinsam entwickelt oder durch Nachahmung und Wiederholung erlernt und weitergegeben wird. Körperlich situiertes Wissen wird oft erst nachträglich notiert, archiviert und reproduziert und kann damit eine Transformation erfahren: von ephemeren Wissensbeständen hin zu ‚notiertem‘ Wissen. Zugleich sind körperbezogene Wissensformen häufig eng verbunden mit queeren, indigenen oder migrantischen Realitäten und können damit zu anderen Historiografien von Kunst beitragen. Wir freuen uns über Beitragsvorschläge – auch experimentelle Vortragsformen sind willkommen.
Mirja Beck, Frankfurt a. M. / Manuela Beer, Köln / Lisa Beißwanger, Koblenz / Dominik Brabant, München / Martin Bredenbeck, Brauweiler/Koblenz / Matilde Cartolari, München / Burcu Dogramaci, München / Gabi Dolff-Bonekämper, Berlin / Sietske Fransen, Rom / Yasmin Frommont, Heidelberg / Christian Fuhrmeister, München / Christoph Grunenberg, Bremen / Ruth Heftrig, Halle (Saale) / Andreas Huth, Bamberg / Henry Kaap, München / Léa Kuhn, München / Franziska Lampe, München / LaoZhu (Zhu Qingsheng), Peking / Omar Nasim, Regensburg / Joanna Olchawa, München / Ulrich Pfisterer, München / Margarete Pratschke, Berlin/Passau / Georg Schelbert, München / Mona Schieren, Bremen / Peter Schmidt, Hamburg / Lisa Marei Schmidt, Berlin / Anna Schreurs-Morét, Freiburg i. Br. / Ilse Sturkenboom, München / Kerstin Thomas, Stuttgart / Barbara Welzel, Dortmund