Berichte der Sektionen 2019

Donnerstag, 28. März 2019
09:00 – 15:45 Uhr

Dinge von Belang: Modell-Architektur und Dominanzkultur
Leitung: Dietrich Erben, München / Brigitte Sölch, Florenz/Stuttgart
Beiträge: Markus Dauss, Augsburg – Bruno Klein, Dresden – Rahel Meier, Freiburg i. Ü. – Jasmin Kruse, Marburg – Sebastian Fitzner, Berlin

Die Sektion rückte das Modell in den Kontext von (gesellschaftlichen) Macht- und Deutungsansprüchen. Die Verschiebung vom „Architekturmodell“ hin zur „Modell-Architektur“ öffnete dabei einen eigenen Problemhorizont, den die Einleitung der beiden Sektionsleiter veranschaulichte.

Brigitte Sölch ging es um die Frage nach alternativen Lesarten des etablierten Wahrnehmungshorizontes, um die Reflexion der Modell-Architektur vor dem Hintergrund der Subaltern Studies und dem Konzept der Dominanzkultur. Zur Veranschaulichung dieses Zusammenhangs spannte sie einen Bogen vom Modell als Identifikationsfigur der Monumentalarchitektur (z. B. ‚Altstadt‘ und Souvenir) über Modell-Architekturen in Geschichtsmuseen bis hin zur kritischen Reflexion der Modellarchitektur in künstlerischen Arbeiten, die westlich-demokratische Narrative der Architektur dekonstruieren.
Dietrich Erben skizzierte wissenssoziologische Aspekte des Modellbegriffs anhand der methodologischen Eigenschaften des Modells zu Reduktion, Angleichung und Vervollständigung und bezog diese medialen Qualitäten des Modells auf Prozesse der Professionalisierung des Architekturberufes, bei denen das Modell als didaktisches Instrument in der Architekturausbildung, als ein Medium im Entwurfs- und Planungsprozess sowie als ein Behauptungsmedium für professionelle Expertise (etwa bei der Verwendung in gerichtlichen Auseinandersetzungen oder bei Modellsammlungen von Architektenkammern) in Dienst genommen werden.
Die ReferentInnen der Sektion widmeten sich sodann in Einzelfallstudien konkreten institutionellen Zusammenhängen von Architektur im Modellformat und fragten nach entsprechenden Wissenskonstellationen und Repräsentationsabsichten.
Markus Dauß arbeitete in seinem Vortrag „Modellfall Gehry“ die Rolle des Architekturmodells bei der Imagemodellierung des amerikanischen „Stararchitekten“ heraus. Modelle spielen eine wesentliche Rolle bei der öffentlichen Beglaubigung der „Handschrift“ des Architekten. Sie konterkarieren die komplexen arbeitsteiligen Herstellungsprozesse computergenerierter Entwürfe und helfen die Marktdominanz des Architekturbüros zu stabilisieren.
Bruno Klein richtete in seinem Beitrag „Funktionen von Modell-Architektur vor der Erfindung des Architekturmodells“ den Blick auf mittelalterliche, in kleinen Formaten skulptural ausgearbeitet Baldachinarchitekturen. Akzentuiert wurde die Funktion des Modells als Symbol der Institution der „ecclesia“ in ihrer universellen Bedeutung jenseits der konkreten Kirchenstiftung.
Rahel Meier analysierte in ihrem Vortrag „Das Holyland-Modell und seine mögliche Funktion für die jüdische Dominanzkultur in Jerusalem“ den Zusammenhang zwischen der archäologischen (Re-)Konstruktion von Geschichte im Modell und dessen wandelnde Ausstellungs- und Rezeptionsbedingungen. Im Zentrum stand die Propagierung des Anspruchs auf den Tempelberg als einem jüdischen Ort.
Jasmin Kruse illustrierte in ihrem Vortrag „Zu Besuch im Tempel – Ausstellungsarchitekturen ägyptischer Sammlungen“ in der ersten Hälfte des 19. Jh. die Entwicklung historistischer Wandausstattungen in ägyptischen Sälen anhand von Paris (Louvre), Rom (Museo Vaticano) und Berlin (Neues Museum). Deutlich wurden die divergierenden Programmabsichten, die ihrerseits die Exponate in den begehbaren Großmodellen kommentieren.
Sebastian Fitzner stellte in seinen „Überlegungen zum Meta-Modell der ‚Modell-Architektur‘“ sodann die enge Verflechtung zwischen den Architektur-Dioramen im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt a.M. und der Konzeption von Architekturgeschichten heraus. Gezeigt wurde damit die diskursprägende Funktion der Exponate und deren Anteil an einer spezifischen Form des Denkens von Architektur (Modell, Typus).
Insgesamt gelang es der Sektion und ihren lebhaften Diskussionen, den Anteil von Modellarchitekturen an der Ausbildung, Festigung und auch Brechung von Dominanzkulturen aufzuzeigen. Als ein durchgängiger Argumentationsstrang zeigte sich die Verlagerung der Referenzen auf Modelle in unterschiedlichen Diskursen, wenn z. B. Modellpräsentationen einen objektivierten Status gewinnen, indem sie aus musealen Zusammenhängen herausgelöst und als Belegstücke in wissenschaftliche Diskurse eingespeist werden.

Dietrich Erben / Brigitte Sölch

Objekt oder Werk? Für eine Wissens­geschichte der Kunst
Leitung: Margarete Vöhringer, Göttingen / Michael F. Zimmermann, Eichstätt-Ingolstadt
Beiträge: Vera Wolff, Zürich – Gustav Roßler, Berlin – Heike Schlie, Salzburg – Verena Suchy, Göttingen/Gießen – Carina Dauven, Köln / Kristina Engels, Köln

„Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge“ lautet der zweite Satz von Wittgensteins Tractatus (1921). Spätestens seit Bruno Latour 1999 das Ozonloch zu einem epistemischen Ding – und „Aktanten“ – par excellence erklärt hat, ist einer breiten Öffentlichkeit klargeworden, dass Dinge durch die unterschiedlichen Diskurse um ihre Wirksamkeit erst konstituiert werden.

Parallel zum Objekt ist auch das Werk problematisch geworden. Seit dem späten 19. Jahrhundert müssen die Künste nicht mehr schön sein. Essentialistische (statt soziologische, institutionelle, kommunikative) Bestimmungen der Kunst fanden eine letzte Bastion in einem emphatischen Werkbegriff, wie ihn Martin Heidegger 1936 entwickelt hat. Demnach würde das Werk sich selbst und damit auch das spezifisch menschliche Dasein, dem es „um sich selbst geht“, reflektieren. Doch mit der Entgrenzung der Künste in Installation und Happening, unlängst in partizipatorischer Kunst, ist auch diese problematisch geworden. Zudem wird der materielle Charakter der Kunst in Frage gestellt, und zwar nicht nur durch konzeptualistische Werkentwürfe, in denen der Plan mehr als die Ausführung gilt. Wenn die Materie nicht mehr allein der Verwirklichung der Fiktion dient, wenn sie vom passiven Träger zum reagierenden Gegenüber wird, deren Transformationen Restauratoren einzukalkulieren statt anzuhalten haben, dann verliert die materielle Kohärenz und die Passivität des Werk-Stoffs ihre Selbstverständlichkeit. Im gleichen Zuge wird das, was vorher als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wurde – die Faktizität, die in einem Werk zur Geltung kommt, der Werkcharakter, die Materialität –, zum Gegenstand des Interesses von Kulturhistorikern und Restauratoren, von Naturwissenschaften und, so der Vorschlag, einer kunsthistorischen Wissensgeschichte.
In der Sektion wurden Aspekte des komplexen Zusammenhanges von Ding und Werk anhand erfreulich unterschiedlicher Forschungsgegenstände vom Mittelalter bis zur Gegenwart beleuchtet. Dass ein Kunstwerk ein Ding ganz besonderer Art ist, verdeutlichte sogleich der erste Vortrag von Vera Wolf über Werke der japanischen Gutai-Gruppe, in denen seit 1954 das Farbmaterial zum Medium der körperlich eingebundenen Auseinandersetzung mit der Umwelt – und buchstäblich mit den Füßen getreten – wird. Im zweiten Vortrag von Gustav Roßler über das Verhältnis von Bildträger und -medium stand die wissenschaftliche Arbeit des Begründers und Stichwortgebers der aktuellen „Historischen Epistemologie“ – Hans-Jörg Rheinberger – zur Debatte. Parallel zu dessen Konzept der Experimentalkultur wurde die Frage aufgeworfen, ob und mit welchen spezifischen Einschränkungen auch in den visuellen Künsten von Experimentalkulturen die Rede sein kann.
Auf die exemplarische Konturierung des Problemfelds folgten Vorträge zu verschiedenen kunsthistorischen Epochen. Die Umgestaltung und Neustrukturierung eines zentralen Werks des Hochmittelalters, nämlich des Klosterneuburger Altars, war der Gegenstand des Vortrags von Heike Schlie. Sie zeigte detailliert auf, wie das Werk von 1181 bei der Transformation 1331 zu einem der frühesten Hochaltäre neukodiert wurde, schlug aber auch eine überzeugende Rekonstruktion der ursprünglichen Bilderfolge anhand der Reimstruktur der damals neu montierten Inschrift vor. Verena Suchy hat mit Blick auf die Kunstsammlung Augusts des Starken Objekte betrachtet, die nach gängiger Lehrmeinung dem Barock den Namen gaben. Ihre Untersuchung der Inszenierung von grotesken Perlenfiguren legte nahe, dass sich in dieser Zeit die Trennung zwischen Objekt und Werk vollzogen hat. Schließlich stellten Carina Dauven und Kristina Engels neue Forschungen zu den Techniken sowie zur Oberflächenästhetik des fotografischen Abzugs vor, die anhand der komplexen Atelierpraxis August Sanders‘ besonders eindrücklich rekonstruiert werden können.

Margarete Vöhringer / Michael F. Zimmermann

Einen Bericht der Gerda-Henkel-Reisestipendiatin Katharina Thurmair zur Sektion Objekt oder Werk finden Sie hier (Wissenschaftsportal L.I.S.A.).

Objekt Buch. Zur Dinglichkeit des Codex in Mittelalter und Früher Neuzeit
Leitung: Tina Bawden, Berlin / Karin Gludovatz, Berlin
Beiträge: Alexandra Carmen Axtmann, Karlsruhe – David Ganz, Zürich – Julia von Ditfurth, Kiel – Bruno Reudenbach, Hamburg – Sabine Utz, Genf

Die Sektion setzte sich zum Ziel, neue kunsthistorische Positionen zur Buchkultur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit durch den Fokus auf das physische Buchobjekt zusammenzubringen. Dem durch das Konzept des Kunsthistorikertages vorgegebenen Ding-Begriff stellten wir den des Objekts zur Seite und adressierten damit ein Spannungsverhältnis, das für die Gegenstände der Kunst symptomatisch ist: Je nach theoretischer oder philosophischer Perspektive können Objekt und Ding als verwandt angesehen werden, oder aber als geradezu gegensätzlich verstandene Formen der Materialisation.

Der Codex ist einerseits kultureller Gegenstand, hergestellt von Hand, bezogen auf spezifische Nutzungs-, Aufbewahrungs- und Rezeptionskontexte, gebunden an tradierte Kulturtechniken und versehen mit Wertzuschreibungen in materieller und ideeller Hinsicht. Andererseits entsteht er aus diversen Materialien, verschiedenen tierischen, mineralischen und pflanzlichen Stoffen, und die mit ihm verbundenen Praktiken (z. B. Blättern, Makulatur) betonen die materielle Komponente.
Die fünf Vorträge widmeten sich unterschiedlichen Aspekten der oben angesprochenen Themen. Dabei stellen sich schon im Vorfeld die drei Ebenen der materiellen Konstitution des Buches, des Gebrauchs und Umgangs, sowie der Autorität einzelner Traditionen, Konventionen und Buchtypen als mögliche Diskussionsfelder heraus. Im Laufe der Vorträge und Diskussionen kamen, oft in enger Auseinandersetzung mit Methoden und Forschungsansätzen, verschiedene Aspekte der Dinglichkeit des Codex zur Sprache: Alexandra Axtmann stellte zunächst die nur rudimentär erforschte Gattung der Pergamentschnitt-Einlegebilder aus dem 17. bis 19. Jahrhundert vor, von denen größere als autonome Bilder fungierten und kleinere wohl oft in Gebetbücher eingelegt wurden, obwohl sie heute meist als Konvolute in Stiften und Klöstern aufbewahrt werden. Angesprochen wurde dadurch die Möglichkeit, dass Praktiken des Buches in enger Verbindung zu Individuen das Sammeln von Heiligenbildern und das Erinnern bestimmter Orte mit einbanden.
Mit dem um 870/900 entstandenen Evangeliar aus Morienval stand ein viel früheres Beispiel im Zentrum des Vortrags von David Ganz, der daran exemplarisch das „Paradigma der Transportabilität“ untersuchte, auf das u.a. die im Buchdeckel eingelassenen und inschriftlich festgehaltenen Reliquien Bezug nehmen, um den Ort der aktuellen Liturgie mit den zentralen Orten der christlichen Welt zu verknüpfen. Die wichtige Rolle von lokalen Orten und die Geschichte von Institutionen für das Erscheinungsbild und damit den Status von Buchobjekten wurde auch im Beitrag von Julia von Ditfurth deutlich, in dem es um nachmittelalterliche Modifikationen am Äußeren und Inneren von Handschriften ging. Änderungen der lokalen Bedürfnisse führten in ihren Beispielen zu Änderungen am Einband und Nachträgen im Inneren und damit auch zu Verschiebungen in Gebrauch und Bedeutung. Im Vortrag von Bruno Reudenbach ging es um die Kanontafeln im Evangeliar und ihren Zusammenhang mit dem Buch. Nur scheinbar wurde an ihnen als Werkzeug der Textarbeit festgehalten, während sie vornehmlich aus Gründen der Textautorität beibehalten wurden. In ihrem Vortrag zum Berner Prudentius (Burgerbibliothek, Cod. 264) zeigte Sabine Utz, wie stark sich die Gestaltung des frühmittelalterlichen Manuskripts an Bibelausstattungen orientierte, gar auf eine „typologische Verbindung“ zur heiligen Schrift abzielte.
In der abschließenden Diskussion wurde deutlich, dass der Blick auf das Buch als Objekt sowohl aus historischer als auch forschungsgeschichtlicher Perspektive Impulse für die Verknüpfung von kunst- und buchhistorischen Fragestellungen geben kann. Ebenso exemplifiziert eine solche Fokussierung die Relevanz von Fragen der Zeitlichkeit und Räumlichkeit des Codex und eröffnet mit einer performativen Perspektive auf dessen Nutzung neue Wege zum historischen Buch.

Tina Bawden / Karin Gludovatz

Einen Bericht der Gerda-Henkel-Reisestipendiatin Sophie Roßberg u. a. zum Vortrag von Alexandra Axtmann finden Sie hier (Wissenschaftsportal L.I.S.A.).

Objektdigitalisierung: Methoden und Perspektiven
Leitung: Stephan Hoppe, München / Martin Langner, Göttingen
Beiträge: Simon Donig, Passau Anneli Kraft, Nürnberg Linda Freyberg, Lüneburg/Potsdam / Sabine de Günther, Berlin Hendrickje Kehlenbeck, Kassel / Christiane Lukatis, Kassel Christofer Herrmann, Berlin

Dieser Bericht liegt leider noch nicht vor.

Freitag, 29. März 2019
09:00 – 15:45 Uhr

Markt Macht Kultur: Das Kunstwerk im Spannungsfeld von Kultur und Märkten
Leitung: Henry Keazor, Heidelberg / Katja Patzel-Mattern, Heidelberg
Beiträge: Isa Bickmann, Frankfurt a. M. – Adrian Grimm, Heidelberg – Ksenia Stanicka-Brzezicka, Marburg – Frank Zöllner, Leipzig – Christian Huemer, Wien

Das (Kunst-)Objekt im Spannungsfeld von Ökonomie und Kultur stand im Zentrum der Sektion „Markt Macht Kultur“. Diskutiert wurde die Relevanz ökonomischer Sachzwänge bei der und für die Entstehung von Kunstwerken, aber auch, wie diese auf die Märkte, auf denen sie gehandelt werden, zurückwirken.

Isa Bickmann stellte in ihrem Vortrag den 1964 in Bihar/Indien geborenen Maler Subodh Gupta vor, dessen Erfolg mit Werken einsetzte, die indische Alltagsgegenstände auf spektakuläre Weise inszenieren. Maßgeblich beteiligt an Guptas Erfolg sind „Mega-Galeristen“ wie Hauser & Wirth, die ihn 2009 erstmals in einer Einzelausstellung in London zeigten. Frau Bickmann verdeutlichte, dass die Marktmacht der Kunsthändler es ihnen erlaube, Ausstellungen nahezu komplett zu finanzieren und damit zu ermöglichen. Guptas Werk ist somit ein Beispiel dafür, wie die Dominanz der Global Player im Kunsthandel die Sichtbarkeit von Künstlern bestimmt und künstlerische Praxis im Sinne eines „Global Look“ beeinflusst.
Im Zentrum des Vortrags von Adrian Grimm stand das Cover des Albums „To Mega Therion“ (1985) der Schweizer Metal-Band Celtic Frost. Der Künstler und Designer H. R. Giger hatte der Band die Nutzungsrechte zu seinem 1977 entstandenen Gemälde „Satan I“ eingeräumt. Herr Grimm machte sichtbar, wie Kunst- und Musikmärkte miteinander verflochten sind bzw. wie Güter aus dem einen Kultur- bzw. Wirtschaftsbereich in den jeweils anderen transferiert werden. Das Artwork ließ sich vor diesem Hintergrund auch als ein verkaufsfördernder Eyecatcher und als Produkt einer Medienkunst betrachten, das es als Objekt der materiellen Kultur zu historisieren gilt.
In ihrem Vortrag diskutierte Ksenia Stanicka-Brzezicka Design als Prozess, der neue Beziehungen zwischen Menschen, Maschinen und Objekten, kulturelle Verhandlungsformen sowie widerstreitende Formen sozialen Habitus konstituiert. Die geistes- und sozialwissenschaftliche Perspektive, die materielle Kultur als Ausstattung einer Gesellschaft versteht, ergänzt kunsthistorische Ansätze, bei denen das Materielle per se im Mittelpunkt steht. Frau Stanicka-Brzezicka zeigte entsprechende Perspektiven anhand von Beispielen aus der Kunst- und Industrielandschaft Schlesien während der Zeit der Industrialisierung auf.
Am Beispiel des Leonardo da Vinci zugeschriebenen und 2017 für 450,3 Millionen US-Dollar versteigerten „Salvator Mundi“ diskutierte Frank Zöllner Fragen der Autorschaft, Serienproduktion und Vermarktung. Er zeigte, dass es bei diesem und anderen Gemälden Leonardos einen Prototyp gab, dessen Werkstattvarianten auf die Ansprüche unterschiedlicher Auftraggeber zwischen ca. 1500 und 1530 reagierten. Zudem wies er nach, dass der 2005 wiederentdeckte und 2011 der Öffentlichkeit mit einer Zuschreibung an Leonardo vorgestellte „Salvator“ einem ähnlichen Verfahren unterworfen wurde, denn das Bild wurde noch während der Phase seiner Vermarktung in den Jahren 2011 bis 2017 durch Restauratoren mehrfach verändert.
Christian Huemer  beschäftigte sich mit der von Camille Pissarro als „effets terribles du succès“ kritisierten Serienproduktion Claude Monets, indem er darstellte, dass Monet so die jahrhundertealte Spannung zwischen künstlerischer Originalität und effizienzsteigernder Serienproduktion für den freien Markt auflöste: Werke wurden zunächst als Ensembles in Galerien ausgestellt und anschließend als Einzelstücke in die ganze Welt verkauft. Waren die Wahl des Bildmotivs, die nahezu abstrakte Komposition und offene Faktur ästhetisch durchaus radikal, so entsprach die Wiederholung eines extrem reduzierten Sujets durchaus dem Markterfordernis ressourcenschonender Studiopraxis, auch wenn Monet nicht arbeitsteilig arbeitete.
Jenseits der Vorträge verdeutlichten die sich anschließenden Diskussionen das Potential eines Forschungsansatzes, in dem Objekte auch als Manifestationen eines von Marktbedingungen und -erfordernissen geprägten Aushandlungsprozesses betrachtet werden.

Henry Keazor / Katja Patzel-Mattern

Einen Bericht der Gerda-Henkel-Reisestipendiatin Antonia Kazmierczak zur Sektion Markt Macht Kultur finden Sie hier (Wissenschaftsportal L.I.S.A.).

Wechsel der Gezeiten. Kir­chen­kunst und religiöser Wandel rund um die Nordsee (1400–1700)
Leitung: Antje Fehrmann, Hamburg/Berlin / Justin Kroesen, Bergen
Beiträge: Laura Katrine Skinnebach, Aarhus – Regina Jucknies, Reykjavík/Köln – Kathrin Ellwardt, Karlsruhe – Konrad Küster, Freiburg i. Br. (entfiel) – Antje Fehrmann – Justin Kroesen – Anne-Laure Van Bruaene, Ghent / Koenraad Jonckheere, Ghent

Thema dieser multidisziplinären und internationalen Sektion war die Interaktion zwischen Artefakten und religiöser Transformation in den verschiedenen Regionen rund um die Nordsee bis nach Island während des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Die geographische Beschränkung auf die Kontaktzone der Nordsee begründete Justin Kroesen in der Einführung zur Sektion. Europas Nordwesten war im Mittelalter Teil einer starken religiösen – und damit auch kulturellen – Einheit, deren transkulturelle Austauschprozesse anhand von Objekten nachvollzogen werden können.

Im Zeitalter der Reformation gingen die Regionen eigene Wege in Glaubensangelegenheiten, wobei die Niederlande in einen calvinistischen Norden und einen katholischen Süden geteilt waren, während England anglikanisch und Norddeutschland, Schweden und Dänemark-Norwegen lutherisch wurden. Alle diese Konfessionen „ererbten“ – oder oftmals eher: besetzten – die vorhandenen mittelalterlichen Kirchengebäude, deren Ausstattung und liturgisches Gerät. Insbesondere in den lutherischen Kirchen ist mittelalterliche Ausstattung oft erhalten geblieben.
Laura Katrine Skinnebach analysierte dieses Potenzial überzeugend in der subtilen graduellen Appropriation einer Gruppe mittelalterlicher dänischer Altarretabel. Deren Bilder wurden leicht übermalt, demontiert und neu gerahmt. Texte schränkten die Bilder zugleich in ihrer Funktion als Dekorationsobjekte ein. Bilder sind polysem, mehrdeutig, und können zugleich als fundamentale Zeugen für Kontinuität und Veränderung in der dänischen Reformation dienen.
Wie anders die Reformation in Island verlief, konnte Regina Jucknies eindrücklich anhand der Erzeugnisse der einzigen Druckerpresse Islands zeigen, die von 1530 bis 1799 in Betrieb war und sich lange fast ausschließlich auf geistliche Texte beschränkte. Die mittelalterlichen Artefakte waren aufgebraucht, weitergenutzt oder versteckt worden; Bilder wurden nicht entfernt. Die erhaltenen Fragmente dokumentieren eine praktische und liebevolle Wiederverwendung des geschätzten Materials, wie zur Verstärkung einer Mitra, als Schnittmuster für eine Weste oder als Sieb.
Kathrin Ellwardt stellte eine beeindruckende Gruppe von lutherischen Kirchen in Hadeln nahe Cuxhaven vor, deren Gemeinden das Patronatsrecht von den sächsisch-lauenburgischen Herzögen erkauften und verteidigten. Ähnlich fürstlichen Stiftern markierten sie jedes noch so kleine Ausstattungsdetail mit den Wappen oder Inschriften ihrer Familien, was zugleich als visuelle Quittung der Baulastverpflichtung diente. Trotz der stetigen Erneuerung der Kirchenausstattung blieben liturgisch zentrale Stücke aus vorreformatorischer Zeit wie Altarretabel und Taufen oft in Gebrauch.
Anstelle des ausgefallenen Vortrags von Konrad Küster zu Orgeln erläuterte Antje Fehrmann die englische Reformation als vielschichtiges Geflecht von gegenläufigen Prozessen und reagierenden Akteuren. Die konfessionellen Diskurse führten zu einer Zerstörung eines Großteils der mobilen Kirchenausstattung, die jedoch in einer kurzen katholischen Periode unter Mary Tudor wieder erneuert werden musste. Den Artfakten war eine Präsenz vorreformatorischer Rituale unabhängig von deren Weiterexistenz eingeschrieben, die sich nur in der Imitation vorreformatorischer Objekte oder deren sakraler Topographie nachweisen lässt. Justin Kroesen schloss einen kurzen Überblick über Desiderate einer transkulturellen Forschung zur Nordsee-Region an.
Anne-Laure Van Bruaene und Koenraad Jonckheere (verhindert) entkoppelten die materielle Geschichte der Reformation und Gegenreformation in den nördlichen und südlichen Niederlanden von der politischen Geschichte. Anhand der Kirchenfenster von St. Gudule in Brüssel und St. Bavo in Gent konnte sie eindrucksvoll zeigen, dass der Ausstattung eine zentralere Rolle in Vergewisserung und Inszenierung katholischer Zugehörigkeit 1540 bis 1580 zukam als bisher angenommen. Der calvinistische Bildersturm ist daher, so ihre These, als Reaktion auf diese katholische Bildmächtigkeit neu zu bewerten.
In der anschließenden Abschlussdiskussion begrüßte das Publikum die Ergebnisse und die Kohärenz der Sektion, die ein traditionelles geographisches Randgebiet der Kunstgeschichte in den Fokus rückte, epochenübergreifend in den Blick nahm und an Fragestellungen zum kulturellen Austausch, zur Appropriation, Umnutzung und Zerstörung von Artefakten in veränderter religiöser Denomination ausrichtete. Angesichts heutiger Kirchenumnutzungen erscheint diese Diskussion überraschend aktuell. Im September 2019 wird in Bergen eine Tagung des Netzwerks Kunst und Kultur der Hansestädte zum selben Thema stattfinden; Justin Kroesen wird von Bergen aus in den kommenden Jahren die Nordsee-Perspektive in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kirchenkunst weiter erforschen. Die daraus zu erwartenden Publikationen sind angesichts des aktuellen Mangels an Fachliteratur sehr wünschenswert.

Antje Fehrmann / Justin Kroesen

Samstag, 30. März 2019
09:00 – 15:45 Uhr

Material Agencies
Leitung: Horst Bredekamp, Berlin / Wolfgang Schäffner, Berlin
Beiträge: Karmen Franinović, Zürich / Roman Kirschner, Zürich – Susanne Deicher, Wismar – Markus Rath, Basel – Inge Hinterwaldner, Berlin – Leva Kochs, Florenz

Zu Beginn der lebhaft diskutierten Sektion suchten die Sektionsleiter die Begründung des Titels aus der Problematik der Begriffe „Ding“ und „Objekt“ zu entwickeln. Gemäß der Definiton Leon Battista Albertis, der jedweden Gegenstand der Natur, der mit einem Minimum der menschlichen Forminvestition versehen sei, als „Bild“ bezeichnet und damit die Geltung einer umfassenden Kunstgeschichte begründet habe, müsse im Prinzip nicht vom „Ding“, sondern vom „Objekt“ als dem geformt Entgegenkommenden gesprochen werden, wie es der Philosoph Valentin Weigel im Jahr 1616 als das definiert hat, was das Auge ergreift: „objectum oder Gegenwurff“.

Dennoch aber sei das Kongressthema „Zu den Dingen“ gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt perfekt gewählt. Avancierte Materialforschungen lassen das scheinbar passive „Ding“ als „active Matter“ bestimmen, was den Begriff von Kultur schlechthin verändern könnte. Technologien beruhen nicht mehr allein auf der Idee von passiven Naturgegenständen, sondern von Dingen, die selbst zu physischen und symbolischen Akteuren werden, um damit die Bestimmung von „Objekten“ anzunehmen. Über Heideggers Begriff des „Dings“ war die Überwindung der Kluft zwischen „Ding“ und „Objekt“ philosophisch abzuleiten. Sie führte zur Frage, ob sich eine Wiederkehr der Weltbilder von Leibniz und Spinoza abzeichne.
Die Sektion suchte den aktuellen Stand der Diskussion zu bestimmen, um dann einen historischen Durchgang bis in die Gegenwart zu vollziehen. Karmen Franinovic begann als Designerin mit einem Bericht über den Einsatz aktiver Materialien, deren Bewegungen nicht vollständig kontrolliert werden könnten, die sich aber aus ihrem Milieuverhalten heraus analytisch beobachten lassen. In der Diskussion wurde betont, dass „Design“ nicht als eine anwendende, sondern forschende Aktivität der Gestaltung zu begreifen sei.
Susanne Deicher rekonstruierte mit Blick auf die Grabkammer von Tutanchamun zunächst die visuelle Inszenierung des Grabes nach seiner Entdeckung. In einem zweiten Schritt analysierte sie einen im Grab virulenten lebendigen Begriff des Modells, das in der Lage war, eine Sphäre der Liminalität zu entfalten. In der Diskussion konzentrierte sich die Frage auf das Problem, ob sich der hier angesprochene Fluxus des Geschehens auch auf Leichname bezöge, die auf diese Weise zu Modellen ihrer Bild gewordenen Transzendenz geworden seien.
Markus Raths Rekonstruktion nichtfigürlicher Elemente in Gemälden des späten Mittelalters und der Renaissance trieb die Anfänge der abstrakten Malerei bis zurück in das 14. Jahrhundert. Er erörterte die jenseits ihrer Bedeutungsinhalte latente Beweglichkeit der Farbe zwischen der Kristalllehre von Albertus Magnus und der generativen Theorie von Aristoteles. In der Diskussion wurde gefragt, ob hier nicht ebenso der Freiheitsbegriff des clinamen wie auch die naturbedingte Bilderzeugung aus dem Chaos der Wolken, wie sie Lukrez im vierten Buch seines De rerum natura formuliert habe, in Anschlag zu bringen sei.
Inge Hinterwaldner schloss mit ihrer Darlegung einer auf die Himmelsumgebung abzielenden Wolkenkunst unmittelbar an. Das schwebende Licht der Aurora Borealis, das vor allem in der kalifornischen Kunst seit den 1960er Jahren als Modell einer mit der Natur einhergehenden Aktivität begriffen wurde, besaß eine politische Dimension darin, dass es beanspruchte, den Himmel überwölbend, eine eigene, demokratische Form der politischen Ikonologie zu sein. In der Diskussion wurde gefragt, inwieweit ein solcher Ansatz der Selbstbeschreibung angesichts dessen, dass hier vor allem eine militärische Technologie benutzt wurde, gerechtfertigt sei. Eine Gegenposition betonte, dass allein die nutzfreie Indienstnahme von Hochtechnologie ein kritisches Potenzial in sich trage.
Leva Kochs Beitrag, der krankheitsbedingt von der Sektionsleitung verlesen und kommentiert werden musste, thematisierte die menschenrechtliche Dimension von Objekten. Ausgehend von der Doppelnatur von Organismen und Kunstwerken, die traditionell nicht als Sachen gelten, dennoch aber juristisch als solche behandelt werden, zielte er auf die Verkleinerung dieser Spanne in der jüngeren Rechtsprechung. Ihre Argumentation mündete im sogenannten Timbuktu-Urteil des Internationalen Gerichtshofs Den Haag, in dem die Behandlung von Kunstwerken und Menschen erstmals tendenziell gleichgestellt worden sei. In der Diskussion wurde auf mögliche Gefahren, die eine solche Ausweitung von Personalrechten auf Sachen mit sich bringen könnten, ebenso hingewiesen wie auf die weitreichende Bedeutung für den Schutz und die etwaige Rekonstruktion von Kunstwerken in Konfliktfällen.
Als Ausblick ergab sich in der gemeinsam abgehaltenen Schlussdiskussion eine Ausweitung des Feldes der Kunstgeschichte auf alle Bereiche von „Dingen“, die historisch wie aktuell über eine eigene Aktivität verfügen und damit dem semantisch bestimmten Begriff der „Material Agencies“ genügen.

Horst Bredekamp / Wolfgang Schäffner

Berichte der Gerda-Henkel-Reisestipendiatinen Katharina Thurmair und Zora Schiffer zur Sektion Material Agencies finden Sie hier und hier (Wissenschaftsportal L.I.S.A.).

Konvolut – Ensemble – Objektkollektiv. Forschungsfragen zum Artefakt als Teil einer Gruppe
Leitung: Justus Lange, Kassel / Antje Scherner, Kassel
Beiträge: Amrei Buchholz, Hamburg – Ulrike Weinhold, Dresden – Sabine Jagodzinski, Warschau – Katharina Kurz, Ulm – Britta Hochkirchen, Bielefeld

Die Beschäftigung mit dem Artefakt als einem „gegebenen“ Unikat zählt zu den verbreiteten Ansätzen kunsthistorischer Forschung. Kunstwerke werden als Einzelobjekte untersucht, ausgestellt, inventarisiert oder restauriert. Diese Sichtweise unterschlägt jedoch, dass viele Artefakte im Laufe ihrer Objektbiographie keineswegs isoliert, sondern als Teile größerer Gruppen angesehen wurden. Die Sektion fragte nach den wissenschaftlichen Chancen und Problemen bei der Untersuchung von Objektkonvoluten.

Justus Lange und Antje Scherner steckten einleitend das Problemfeld entlang dreier Fallbeispiele ab. Die Integration nicht zugehörigerer Objekte in vermeintlich authentische Objektensembles, wie „historischen Bauernstuben“, die Artefaktzusammenstellung des unveräußerlichen „Hessischen Hausschatzes“ im 16. Jahrhundert sowie das Schicksal von Rubens’ „Triumph des Siegers“ führten zur Frage, ob Ensembles als Ganzheit oder als Summe ihrer Einzelteile zu betrachten sind, welche Rolle die originäre Zugehörigkeit von Einzelobjekten zu Ensembles für deren Deutung spielt, ob übergreifenden Ordnungs- oder Auswahlgedanken postuliert werden dürfen und wie die Einbettung von Werken in wechselnde Ensembles deren Rezeption beeinflussen.
Eine erste Antwort gab Amrei Buchholz in ihrem Beitrag „Zwischen den Objekten. Zur kunsthistorischen Analyse von Artefakten als Teile einer Gruppe“, in dem sie die „produktive Kontingenz“, also einen vernetzend und kognitiv orientierten Blick, als analytische kunsthistorische Perspektive anbot, um die Heterogenität von Objektensembles zu untersuchen. Artefakte als Teile von Gruppen würden, so Buchholz, meist in einheitliche sinnstiftende Rahmungen, bzw. in übergeordnete homogene Konzepte eingefasst. Es sei jedoch zu beobachten, dass sich Artefakte im Rezeptionsprozess oft nicht bruchlos zusammenführen lassen. Vielmehr werde eine semantische Ebene bisweilen gerade dadurch erzeugt, dass Differenzen nicht überbrückt werden könnten oder sollten. An drei Objektkonvoluten aus dem 18. und 19. Jahrhundert legte sie dar, wie jeweils die Möglichkeit der Kombinatorik von Artefakten entscheidend war. Die relata der Konvolute waren nicht von vornherein in ihrer Anordnung fixiert, sondern wurden erst während der Rezeption, in einem Prozess des Relationierens, zusammengeführt. Der Rezeptionsprozess blieb somit partiell offen, „kontingent“.
Ulrike Weinhold widmete sich anschließend den „Silberbuffets am Dresdner Hof als einem Mittel höfischer Interaktion.“ Als Teil des Hofzeremoniells vermittelten Silberbuffets den gesellschaftlichen Rang des Gastgebers und dessen Herrscherhauses, wobei je nach Relevanz des festlichen Ereignisses unterschiedliche, quantitativ abgestufte Gestaltungskonzepte realisiert wurden. Anlassbezogen griff man dabei immer wieder auf dieselben Werkkonvolute zurück, konnte durch die Einbeziehung von Arbeiten aus höherwertigen Materialien wie Edelstein und Gold aber eine qualitative Steigerung erzeugen. Auf den kurfürstlich-sächsischen Buffets kamen vor allem ältere Werke der Schatzkammer zum Einsatz, die auf die lange Tradition der fürstlichen Sammlung und auf die dynastische Kontinuität verwiesen. Einen Gegenentwurf repräsentierte fast zeitgleiche Große Silberbuffet des Berliner Stadtschlosses, das als einheitliches Ensemble komponiert war und ausschließlich Augsburger Goldschmiedewerke im damals aktuellen Régencestil umfasste.
Nahm Weinhold damit die Spannbreite des zeitgleich Möglichen in den Blick, so widmete sich Sabine Jagodzinski in ihrem Beitrag „Authentizität und Fehlstelle. Gedanken zu gewachsenen und unvollständigen Ensembles“ der Ausweitung von Ensembles im Laufe der Zeit. Anhand von Objekten in der St. Thomas-Pfarrkirche in Nowe Miasto Lubawskie stellte sie dar, wie diese von ca. 1600 bis 1742 durch zwei adlige Familien zu einem Memorial-Ensemble zusammenwuchsen. Im 19. Jh. wurde ein Altar aus einer benachbarten, familiär eng verbundenen Kirche bruchlos integriert. Daran zeige sich, wie wichtig ein Raum für die Wirkung als Ensemble sei, so Jagodzinski. Auch konnte ein bestimmtes Objekt, hier eine Grabfahne, herausragende Bedeutung innerhalb der Gesamtheit erlangen. Dass solche gewachsenen Ensembles bis heute in Bewegung und in ihrer Mobilität authentisch sind, belege die Rezeption in der lokalen Öffentlichkeit, die Leerstellen innerhalb vormaliger Ensembles sehr wohl wahrnehme.
Mit den Vorträgen von Katharina Kurz und Britta Hochkirchen rückte die museale Praxis in den Blick. Kurz widmete sich in ihrer Überlegungen „Über Objektkarrieren im Museum und den Umgang mit Konvoluten“ einem nicht unwesentlichen Teil musealer Sammlung, der in der theoretischen und praktischen Museumsarbeit noch weitgehend unreflektiert sei, den „Objektkonvoluten“. Der Begriff „Konvolut“ sei scheinbar unbemerkt – so formuliert es der Museologe Markus Walz – aus dem Archivwesen übernommen worden. In Museen durchlaufen die verwahrten Dinge potentiell eine Reihe von Abläufen, die Kurz als „Karriereleiter“ beschrieb, an deren Ende das „Objekt“ zum öffentlich sichtbaren „Exponat“ werde. Gerade für zusammengehörige Objektkonvolute sei es aber schwierig, diese Karriereleiter zu erklimmen. Kurz warb für einen aufmerksamen Umgang mit ihnen, vor allem durch das Dokumentieren, das bislang unter dem musealen Bewahrungsauftrag lediglich „mitgemeint“ sei.
Britta Hochkirchen sondierte Werkkonstellationen in Kunstausstellungen der Moderne in ihrem Beitrag „Jenseits des autonomen Kunstwerks“. Kunstwerke seien in der Regel innerhalb einer Ausstellung nicht als in sich geschlossene ästhetische Einheit erfahrbar. Vielmehr werde die Rezeption durch den kuratorisch initiierten Vergleich zweier – oder potentiell mehrerer – Werke gesteuert, indem jeweils unterschiedliche Dimensionen des Bildes wie z. B. das Motiv, die Formelemente oder der Stil in den Fokus der Wahrnehmung gerückt würden. (Neue) Objektkollektive würden auf diese Weise unter wechselnden Kriterien gebildet. Mit Blick auf die Praktiken des Vergleichens, die in einer Ausstellung zum Tragen kommen, werde die Frage nach dem Artefakt als Teil einer Gruppe und dem Verhältnis der Werke untereinander analytisch fassbar – gerade im Zwischenraum: in der Relation zwischen den Werken sowie zwischen dem Werk und dem Betrachter.

Justus Lange / Antje Scherner

Zeichnungsforschung im digitalen Zeitalter
Leitung: Joachim Jacoby, Düsseldorf / Martin Sonnabend, Frankfurt a. M. / Anne-Katrin Sors, Göttingen
Beiträge: Gudrun Knaus, Marburg – Annemarie Stefes, Bremen – Waltraud von Pippich, München – Thomas Ketelsen, Köln – Stephanie Buck, Dresden

Ein roter Faden der Sektion war die Fragestellung nach der Wechselwirkung von Digitalisierung und Kennerschaft in der Zeichnungsforschung sowie deren Vermittlung.

Gudrun Knaus (Marburg) zeigte Chancen der Erforschung von Zeichnungen auf Grundlage digitaler Daten auf. Verbesserung von Suchergebnissen durch Benutzung kontrollierter Vokabulare, Wiedergabe unsicherer Fakten in Datensätzen, Formen der Vernetzung von Information wurden thematisiert und mündeten in der Frage nach der Entwicklung neuer Forschungsansätze durch die Zusammenarbeit von Kunsthistorikern und Informatikern, die erst durch neue Formen der digitalen Datenauswertung möglich wird.

Annemarie Stefes (Bremen) konnte zeigen, wie sich Digitalisierung – sprich die immense Verfügbarkeit von Wissen – auf die klassische kennerschaftliche Zeichnungsforschung mit ihren zentralen Fragen nach Autorschaft, Datierung, Provenienz auswirkt: online-Kataloge zu Stempeln, Auktionen u.a. stellen schnell Informationen bereit, müssen mit den richtigen Suchbegriffen gefüttert werden. Für Aspekte wie beispielsweise die Bestimmung von Technik und Gebrauchsspuren und die Kernaufgaben der Zeichnungsforschung – das Erkennen der Hand eines Künstlers und die Scheidung von Original und Kopie – bleibt eine Konsultation des Originals nach wie vor unerlässlich.
Thomas Ketelsen (Weimar) zeigte, dass Digitalisierung nicht nur die veränderten Organisations­formen des kunsthistorisch-kennerschaftlichem Wissens meint, sondern der digitale Weg neues Wissen von Materialität zu generieren in der Lage ist. So ist es notwendig, sowohl den traditionellen Begriff von Kennerschaft als auch die traditionellen Vorstellung von Zeichnung in Frage zu stellen und zu modifizieren, da es etwa möglich wird, mit Hilfe einer Infrarot-Reflektographie die durchgepauste Unterzeichnung von der darüber liegenden Federzeichnung zu „separieren“ und digital sichtbar werden zu lassen. Ebenso kann mit Hilfe eines Röntgen­fluoreszenz-Scans die für das bloße Auge unsichtbare Vorzeichnung in Feder sichtbar gemacht werden, die es erlaubt, vom fertigen Resultat her den Entstehungsprozess der Zeichnung zu rekonstruieren. Das digitale Bild also kreiert ein eigenes Wissen von der Materialität der Zeichnung, so dass es die klassische Stilanalyse durch die nur digital sichtbar zu machenden Ergebnisse einer zerstörungsfreien materialwissenschaftlichen Untersuchungsmethode auf ein erweitertes Fundament zu stellen vermag. Die digital generierten „Bilder“ können kenner­schaftliche Beurteilung untermauern, vor allem aber ein besseres Verständnis für die Komplexität des Zeichenaktes entwickeln.
Stephanie Buck (Dresden) machte deutlich, dass sich die Rolle des Museumskurators in einer fundamentalen Transformation befindet. Wurde in der Vergangenheit ein Oeuvre- oder Sammlungskatalog von einer Person erarbeitet und publiziert, wird es heutzutage mehr und mehr zu einem interdisziplinären, intermedialen und facettenreicheren Projekt. Das Forschen mit intimer Kenntnis der physischen Dinge ist nach wie vor elementar, wird jedoch immer weniger Teil des Alltags, da die digitalen Bilder vermeintlich alle Antworten parat haben und diese jederzeit abgerufen werden können. Durch das Getty Paper Project am Dresdner Kupferstich-Kabinett wird vorgestellt, wie nicht nur hausinterne Museumskuratoren und Restauratoren, sondern ebenso Kollegen von anderen Häusern und Nachwuchs­wissenschaftler in die Entwicklung und Entstehung von grundlegenden Bestandkatalogen – wie hier der der italienischen Renaissance Zeichnungen – eingebunden werden.
Schwerpunkte der Diskussion waren die Zukunft der Digitalisierung, die Frage nach den Erkenntnisoptionen und -potentialen der technischen Möglichkeiten. Neben diversen Hinweisen auf die Kosten und den personellen Aufwand hinreichend tiefer und gründlicher Erfassung von Digitalisaten bei der Datenbankeinstellung, wurde die Frage nach den Erkenntnisoptionen der digitalen Abbilder verschiedenseitig formuliert, wobei der Konsens aufschien, dass digitale Filterungen von Zeichnungs­digitali­saten Erkenntnis­möglich­keiten anbieten, die bereits aus der Gemälde­untersuchung bekannt sind. Über die Integration dieser Techniken und methodische Ausgestaltung ihrer Möglichkeiten besteht noch Unsicherheit.
Der Vortrag „Rot rechnen“ von Waltraud von Pippich (München) musste aus Krankheitsgründen leider entfallen.

Joachim Jacoby / Martin Sonnabend / Anne-Katrin Sors

Provenienzen der Dinge. Zur Rezeption von Objektbiografien
Leitung: Ulrike Saß, Bonn / Christoph Zuschlag, Bonn
Beiträge: Adrien Palladino, Brünn/Frei­burg i. Ü./Rom – Sheila Heidt, Köln/Duisburg-Essen – Gail Levin, New York – Fabienne Huguenin, München / Kathrin Kleibl, Bremerhaven – Antoinette Maget Dominicé, München

Ziel der Sektion war es, die Verflechtung des Objektes mit seiner Eigentums- und Besitzgeschichte in unterschiedlichsten historischen Kontexten und bezogen auf verschiedenste Objektkategorien zu thematisieren. Im Zentrum standen drei Fragen: Welche materiellen Spuren der Besitzer lassen sich bei Objekten ausfindig machen? Wie wirkt sich die Provenienz eines Objektes auf dessen monetären wie ideellen Wert aus? Und wie beeinflusst das Wissen um die Eigentums- und Besitzgeschichte die Rezeption und Wahrnehmung eines Kunst- und Kulturguts?

In der Einführung der beiden Sektionsleiter Ulrike Saß und Christoph Zuschlag (Universität Bonn) lag der Fokus auf Objekten, die zwischen 1933 und 1945 in Europa den Besitzer gewechselt haben – ein historischer Kontext, der für die Entwicklung der Provenienzforschung von zentraler Bedeutung ist. Die drei Kernfragen der Sektion wurden anhand zweier Gemälde von Max Liebermann vorgestellt: eines, das 2009 für 350.000 Euro versteigert wurde, und ein im Hinblick auf das Sujet und das Format fast identisches Bild, das 2015 über das Sechsfache an Wert erreichte. Der Vortrag fragte nach den Gründen dieser immensen Wertsteigerung und konnte diese anhand der speziellen Provenienz des Werkes, das aus dem Konvolut der Gurlitt Sammlung stammte, erklären.
Im ersten Vortrag betrachtete Adrien Palladino die Objektgeschichte der sogenannten „Lipsanothek von Brescia“, eines verzierten Elfenbeinkastens, der gegen Ende des vierten Jahrhunderts in Norditalien entstand. In seinem Vortrag untersuchte Palladino die Materialität und die physischen Veränderungen, die der Kasten erfuhr, um seine historischen Funktions- und Bedeutungsveränderungen darzustellen. Besonders die unterschiedlichen Aufbewahrungs- und Präsentationsmodi im Kontext der verschiedenen Eigentümer ließen auf die sich ständig wandelnde Rezeption des Kastens schließen.
In der zweiten Präsentation lag der Fokus auf einem hochaktuellen Thema: den Biografien von Objekten, die im Kontext des Kolonialismus aus Afrika nach Europa transportiert wurden und die sich heute in deutschen Sammlungen befinden. Mit Blick auf die Tatsache, dass die Geschichten dieser Objekte einen immensen Einfluss auf ihre heutige Wahrnehmung ausüben, untersuchte Sheila Heidt die Methodik, mit denen solche Geschichten erforscht, aufgezeichnet und als Grundlage für eine eventuelle Rückgabe verwendet werden können. Heidt plädierte in ihrem Vortrag für die Systematisierung der Provenienzforschung in diesem Bereich und die Etablierung allgemeingültiger Standards.
Der Vortrag von Gail Levin untersuchte, wie Objektbiografien absichtlich verändert oder verborgen werden können, um eine offensichtliche betrügerische Inbesitznahme eines Kunstwerkes zu vertuschen. Ihre zentrale Fallstudie war das Gemälde City Roofs von Edward Hopper und dessen Weg von der Witwe des Künstlers über einen benachbarten Pastor in den New Yorker Kunstmarkt der 1960er Jahre. Levin ging auf die verschiedenen Akteure ein, die aus unterschiedlichen Gründen den unrechtmäßigen Besitzer des Werkes unterstützten, und stellte die Frage nach der Verantwortung der Museen als normative Institutionen.
Der vierte Vortrag beleuchtete die Provenienzforschung in wissenschaftlichen Sammlungen, nämlich der des Deutschen Museums in München und der des Deutschen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven. Fabienne Huguenin und Kathrin Kleibl veranschaulichten die Herausforderungen für die Provenienzforschung von in Serien hergestellten Objekten, die scheinbar keine individuelle Geschichte haben. Sie resümierten, dass erst durch die Rekonstruktion der Provenienz das Objekt zu einem individuellen, autonomen Kulturgut avanciert.
In der Abschlusspräsentation ging Antoinette Maget Dominicé näher auf die Zusammenhänge zwischen Objektbiografien, Gedächtnis und Identität ein. Anhand zweier Fallstudien – einer Reihe von Objekten, die 1712 während des Schweizer Villmergerkriegs aus der Abtei in Sankt Gallen entfernt wurden, und einer antiken römischen Venusstatue, die 1913 in Libyen entdeckt wurde – und im Rückgriff auf das Konzept des „Erinnerungsortes“ (lieu de mémoire) von Pierre Nora sowie die Forschungen von Maurice Halbwachs zum kollektiven Gedächtnis untersuchte sie, wie ein Bewusstsein für die Biografie eines Objekts dessen Bedeutung für das kollektive Gedächtnis konstituieren bzw. stärken kann.
In der abschließenden lebhaften Diskussion wurden die drei Leitfragen der Sektion nochmals aufgegriffen und herausgestellt, dass sich Kulturgüter in ihrer physischen Gestalt, in ihren ideellen wie materiellen Wertzuweisungen sowie ihrer Rezeption nicht von ihrer jeweiligen Eigentums- und Besitzgeschichte trennen lassen und dass die Rekonstruktion eben dieser Eigentums- und Besitzgeschichte zu einem vertieften Verständnis des jeweiligen Objekts führt.

Ulrike Saß / Christoph Zuschlag