Formierung – Aktivierung. Formbezug in der Kunst der Moderne

Leitung: Kerstin Thomas, Stuttgart / David Misteli, Berlin

Angesichts heutiger Methoden und Praktiken der Kunst stellt sich die Frage nach der Angemessenheit überkommener Formkonzepte, etwa der Unterscheidung zwischen künstlerischer und gesellschaftlicher Form, oder zwischen natürlichen und künstlichen Formen. Kritik gilt auch universalistischen Festschreibungen des Formbegriffs.

Unsere Sektion versucht deshalb, den Phänomenbereich und das Begriffsfeld „Form“ neu zu vermessen, indem solche Kunst- und Diskurspraktiken seit dem 19. Jahrhundert bis heute in den Blick genommen werden, bei denen die Form nicht als konstantes, überzeitliches Prinzip erscheint, sondern sich Formen als Resultate unterschiedlicher Beziehungen fassen lassen: interner Beziehungen des Kunstwerks, wie sie durch Materialität, Inhalt, ästhetischem Schein artikuliert werden; externer Beziehungen des Werks zu seinen Produktions- und Rezeptionsbedingungen; und nicht zuletzt diskursiver Beziehungen zwischen künstlerischer Praxis, kunstkritischer Kommentierung, Geschichtsschreibung und Kunsttheorie.

Die Vorträge der Sektion analysieren konkrete Kunst- und Diskurspraktiken seit dem 19. Jahrhundert bis heute, die einerseits auf Prozessen der Formierung und deren je spezifischen materiellen, sozialen und diskursiven Bedingungen beruhen, andererseits auf Prozessen der Aktivierung, die der Form von Kunstwerken zugeschrieben werden, z. B. die Wahrnehmung zu verändern, durch Ausdruck und Affizierung zu wirken oder Handlungen und Praktiken nahezulegen. Fallstudien zeigen den dynamischen Charakter der Formen sowie die hierdurch ausgelösten Diskursverschiebungen auf: etwa, wie transkulturelle Umformungen einen neuen Begriff der Moderne erfordern, wie Kraftübertragungen die Wahrnehmung von Formen verändern, wie künstlerische Handlungsanweisungen auf die Transformation menschlicher Beziehungen zielt und wie ein zwischen Alltag, Kunst und Architektur stehendes Objekt Formbegriffe aktiviert und herausfordert.

Die Sektion wurde konzipiert von Kerstin Thomas, Stuttgart, und Ralph Ubl, Basel.

Kurzbiografie David Misteli
2007–2014Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Bildtheorie in Basel, Berlin und Glasgow
2015–2017Wiss. Assistent an der Universität Basel
2017–2018Gaststipendiat am Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris, gefördert durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF)
2018–2019Visiting Scholar an der University of Pennslyvania, Philadelphia, gefördert durch den SNF
2019–2020Wiss. Assistent an der Universität Basel
2021Promotion an der Universität Basel („Ausdruck und Medialität in der Malerei van Goghs“)
seit 2021Postdoc-Stipendiat des SNF an der Universität der Künste Berlin
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Malerei des 19. und 20. Jh.s; Ausdruck in der Kunst der Moderne; Verflechtungen von Kunst und Literatur; Serialität als Werkform; Kunstkritik und zeitgenössische Kunst
Publikationsauswahl
  • Die Orientierung der Malerei. Pissarro, van Gogh und der Neoimpressionismus, in: Josef Helfenstein und Christophe Duvivier (Hgg.): Camille Pissarro. Das Atelier der Moderne, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Basel, München 2021, S. 126–139.
  • Expressive Präzision, in: Markus Krajewski, Antonia von Schöning und Mario Wimmer (Hgg.): Enzyklopädie der Genauigkeit, Konstanz 2021, S. 118–129.
Kurzbiografie Kerstin Thomas
bis 2001Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Klassischen Archäologie in Frankfurt am Main
2002–2004Stipendiatin im Graduiertenkolleg „Psychische Energien Bildender Kunst“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
2004–2005 Stipendiatin am Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris
2006Promotion an der Goethe-Universität Frankfurt am Main („Stimmung als malerische Weltaneignung. Puvis de Chavannes, Seurat, Gauguin“)
2006–2009Wiss. Assistentin am Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris
2010–2017Leitung der Emmy Noether-Forschungsgruppe „Form und Emotion“
seit 2016Professorin für Kunst der Moderne an der Universität Stuttgart
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Französische Kunst und Kunsttheorie von der Aufklärung bis ins 20. Jh.; kunstgeschichtliche Emotionsforschung; Ästhetik und Kunstwissenschaft im 20. Jh.; Ausdruckskonzepte in Kunst, Wissenschaft und Ästhetik vom 18. bis 20. Jh.
Publikationsauswahl
  • Welt und Stimmung bei Puvis de Chavannes, Seurat und Gauguin (Passagen/Passages 32), Berlin/München 2010.
  • (Hg.) Stimmung. Ästhetische Theorie und künstlerische Praxis (Passagen/Passages 33), Berlin/München 2010.
  • (Hg. mit Aron Vinegar) Matters of Fact, Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 60/1 (2015); darin: The Still Life of Objects: Heidegger, Schapiro, and Derrida reconsidered, S. 81–102.
  • Emotion und Ausdruck. Zur emotionalen Wirkung von Bild und Malerei, in: Hermann Kappelhoff et al. (Hgg.): Emotionen. Ein interdisziplinäres Handbuch, Berlin 2019, S. 433–438.
  • Division und Kondensation: Pissarros Suche nach der modernen Synthese, in: Christophe Duvivier und Josef Helfenstein (Hgg.): Pissarro – Das Atelier der Moderne, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Basel, München/London/New York 2021, S. 84–97.