Freitag, 25. März 2022, 9:00–13:00 Uhr, K2, Hörsäle 17.17 & 17.12

Formlosigkeit … mit Folgen: Exzentrische Abstraktion, Anti-Form, Post-Minimalis­mus, Informe und ihre Relektüren

Leitung: Valeria Schulte-Fischedick, Berlin / Elena Zanichelli, Bremen

Die Sektion nimmt die aktuellen Rekonzeptualisierungen des Begriffs des Formlosen zum Anlass, dessen Relektüren kritisch zu reflektieren. Über die letzten Jahrzehnte wurde Formlosigkeit vielfältig mit gesellschaftspolitischen Aspekten konnotiert (so im Fall der Eccentric Abstraction, Abject Art, Entropie, bis hin, aktuell, des New Materialism) oder aber strukturalistisch-formalistisch, etwa als Informe (Rosalind Krauss, Yve-Alain Bois), gedacht. Entscheidend weitergeführt wurde hierbei das Denken über Formlosigkeit durch gendertheoretische Ansätze, die sich von feministischen hin zu – seit den 1990er Jahren – auch queer- und transtheoretischen Ansätzen erweiterten: Diese Verbindungen zu Geschlechtskonzepten sind ein Hauptmerkmal so genannter Anti-Form. So etwa wertete David Hopkins 2000 Lucy Lippards „exzentrische Abstraktion“ und Robert Morris’ Deklaration der Anti-Form als „weiche“ Antwort auf die „harte maskuline“ Minimal Art, gar als ihre „Feminisierung“ und „Desublimierung“. Diese herkömmliche Bewertung von Post-Minimalismus als „weiche“, „softe“ Gegenreaktion auf die rigiden Formen des Minimalismus – so vielfach zu finden in den Lesarten zu Louise Bourgeois, Eva Hesse oder Lynda Benglis – verdient eine Revision. Ebenso relativiert werden muss die (besonders US-amerikanische) Dominanz der Minimal Art in der traditionellen Kunstgeschichtsschreibung zur Nachkriegskunst, die den Post-Minimalismus zumeist ausschließlich vor der Folie der Minimal Art oder als Unterkategorie derselben denkt. In einer Neubewertung des Materiellen treffen sich in den letzten Jahren Renaissancen des Abjekten, des Taktilen, der Entropie sowie ihre Neudiskursivierungen rund um den sogenannten Neuen Materialismus.

Die Sektion startet mit einem Beitrag über historische Ausformungen der Formlosigkeit ausgehend von der damit einhergehenden Rekonzeptualisierung von textilen Materialien (Crasemann/Röhl). Anschließend werden Lektüren anderer formloser Ausprägungen z. B. in Asien sowie als abjekt bezeichnete Werke nichtkanonischer Künstlerinnen in den Blick genommen (Berger und Kube Ventura). Abschließend sollen Fragen nach dem neuen Materialismus u. a. am Beispiel der Rezeption der Arbeiten von Olga Balema erörtert werden (Khazam). Die Sektion gibt Gelegenheit, über einen bis heute kunsthistorisch nicht eindeutig erfassten, aber hochaktuellen Begriff zu reflektieren.

Kurzbiografie Valeria Schulte-Fischedick
1991–1997Studium der Kunstgeschichte, Anglistik, Neueren und Neuesten Geschichte in Berlin (Magisterarbeit: „Körperfragmente im plastischen Werk von Robert Gober und Kiki Smith“)
2003Wiss. Beraterin der Ausstellung „Louise Bourgeois – Intime Abstraktionen“, Akademie der Künste, Berlin
2005–2009Kuratorin des Internationalen Atelierprogramms des Künstlerhauses Bethanien, Berlin
2010–2013Leitung der Galerie Opdahl Berlin
seit 2013Kuratorin des Internationalen Atelierprogramms des Künstlerhauses Bethanien, Berlin (u. a. Gruppenausstellung „Swimmingpool – Troubled Waters“, 2021)
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Begriff des „Formlosen“, seine Zuschreibungen und Rekonzeptualisierungen; Assoziationen, Klischeebilder und Ausgrenzungen rund um das Thema Swimmingpool; feministische, queer- und transfeministische Theorie; feministische Manifeste; Körperfragmente und das Abjekte in zeitgenössischen skulpturalen Objekten
Publikationsauswahl
Kurzbiografie Elena Zanichelli
1992–1999Studium „Conservazione dei Beni Culturali“ (Erhaltung des Kulturerbes) in Parma (Gaststudentin in Bonn und Zürich)
2012Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin („Privat: Bitte eintreten! Rhetoriken des Privaten in der Kunst der 1990er Jahre“)
seit 2018Juniorprofessorin für Kunstwissenschaft und Ästhetische Theorie am Institut für Kunstwissenschaft – Filmwissenschaft – Kunstpädagogik der Universität Bremen
seit 2021Leiterin des Mariann Steegmann Instituts. Kunst & Gender, Forschungsfeld wohnen +/- ausstellen, Universität Bremen
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte (Medien der) Gegenwartskunst; Bilder des Privaten seit der Nachmoderne; (postfamilale) Familienbilder; Kunst & Gender
Publikationsauswahl
  • Women in Fluxus and Other Experimental Tales. Eventi, Partiture, Performance, Publikation zur Ausstellung im Palazzo Magnani, Reggio Emilia (Bd. 1: Saggi, Bd. 2: Antologia), Mailand 2012.
  • Privat. Bitte eintreten! Rhetoriken des Privaten in der Kunst der 1990er Jahre, Bielefeld 2015.
  • Historische Sammlungen und/oder Gegenwartskunst? Eine Notiz, in: Prinzip Labor. Museumsexperimente im Humboldt Lab Dahlem, Tagungsband, Berlin 2015, S. 229–239.
  • Circa 1964. Gebrauchsspuren und Berührungspunkte, oder Filmemachen nach der Performance. Nam June Paiks Zen for Film, Carolee Schneemanns Fuses, in: Angela Lammert / Akademie der Künste (Hgg.): Film als Skulptur?, Dortmund 2017, S. 90–107.
  • Die Wand als Störgröße: Monica Bonvicini, in: Julia Freytag, Astrid Hackel und Alexandra Tacke (Hgg.): Gegen die Wand. Subversive Positionierungen von Autorinnen und Künstlerinnen, Berlin 2021, S. 241–280.