Samstag, 26. März 2022, 14:30–18:30 Uhr, HP, Hörsaal 2.01

Steht die Form schon vorher fest?

Leitung: Martin Bredenbeck, Brauwei­ler/Ko­blenz / Ulrike Plate, Esslingen

Seitdem es Denkmalpflege gibt, wird darum gerungen, wie sie mit Eingriffen am Denkmal umgeht. Manchmal geht es um Reparaturen und Ergänzungen, manchmal um weitergehende Veränderungen und Fortschreibungen. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde dem interpretierenden und schöpferischen Umgang viel Raum gegeben. Um 1900 verschob sich u. a. durch Georg Dehio und Alois Riegl die Haltung hin zum Konservieren statt Rekonstruieren. Heutzutage gibt die Charta von Venedig (1964) einen Rahmen vor, doch auch dieser lässt Spielraum für das alltägliche denkmalpraktische Handeln – zumal jedes Denkmal ein Individuum ist.

Wenn Reparaturen, Erneuerungen, Ergänzungen und Neubauten für neue Funktionen oder Nutzungserweiterungen anstehen, wie orientiert sich also die Denkmalpflege gestern und heute und in welchem Aushandlungsprozess werden die Formen gefunden? In der Sektion stehen dabei weniger die Formen selbst im Fokus, sondern vielmehr die Positionen und Interaktionen der Teilnehmenden und Teilhabenden und weitere Einflüsse. Gerade diese akteurbezogene Perspektive wird in der Denkmalpflege aktuell viel diskutiert. Wie beeinflussen die Motive und Interessen der Handelnden die Prozesse und damit die Formfindung? Darüber hinaus geht es um sich wandelnde Einflüsse gesellschaftlicher Art, denkmaltheoretische Grundsätze, normative Setzungen und wissenschaftliche Erkenntnismethoden, die alle bei den Entscheidungen einwirken.

Stefan Bürger öffnet in seinem Beitrag den Blick auf die mit dem Denkmal verbundenen Akteure und die Möglichkeiten ihrer Einbindung. Er führt anhand verschiedener Beispiele seine These aus, dass die Formfindung ganz wesentlich von den stattfindenden Aushandlungsprozessen beeinflusst wird. Dass diese Aushandlungsprozesse und Zielkonflikte keine Erfindung der Moderne sind, zeigt der Beitrag von Meinrad v. Engelberg, der an Beispielen aus der Barockzeit den Blick auf die vielfältigen Erwartungen richtet, die unterschiedliche Akteure einbringen, und darauf, welchen Einfluss diese Motive auf die Formfindung nehmen. Anne Scheinhardt legt den Fokus auf ein komplexes Brauerei-Areal aus dem frühen 20. Jahrhundert. Spannend ist die dialogische Betrachtung des auf die äußere Form konzentrierten Entwurfsprozesses des Architekten und des Denkmalpflegers gleichermaßen. Beeinflusst von denkmaltheoretischen Standards und geänderten Nutzungsbedarfen schienen sich beide dabei in ihrer Zeit zwischen Tradierung und Fortschreibung zu positionieren. Neue Aspekte bringt Andreas Putz in den Formfindungsdiskurs, indem er vor dem Hintergrund der jüngeren Geschichte der Denkmalpflege den Umgang mit dem Bauerbe der Moderne beleuchtet. Dessen Form scheint festzustehen, denn wir kennen nicht nur die zeitgenössischen Schrift- und Plandokumente, sondern auch Bildbestände sind uns umfangreich überliefert. Die Bauwerke aber verharren nicht in ewiger Jugend, sondern sind als Originalquellen in ihrer sich wandelnden Form immer wieder neu zu befragen.

Verbindendes Thema ist die Betrachtung vielfältiger Einflüsse auf die Formfindung in der Denkmalpflege. Denn eines scheint jetzt schon klar zu sein: Die Form steht nicht schon vorher fest! Und auch die Form-Findungs-Prozesse haben zwar feststehende Komponenten (z. B. Gesetzestexte, Eigentums- und Machtverhältnisse, finanzielle Mittel, praktische Zwänge, Organisationsstrukturen von Behörden), lassen aber stets erheblichen Spielraum zur Ausgestaltung und Formfindung.

Kurzbiografie Martin Bredenbeck
2009/2010Mitbegründer der „Initiative Beethovenhalle“ und der „Werkstatt Baukultur Bonn“
2011–2016 Wiss. Referent für Denkmalpflege und Baukultur beim Bundesverband Bund Heimat und Umwelt in Deutschland, Bonn
2016–2020Geschäftsführer des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, Köln
seit 2016 Mitglied der Landesdenkmalräte Hamburg und Rheinland-Pfalz
seit 2017 Mitglied im Vorstand des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker als Repräsentant der Berufsgruppe Denkmalpflege
seit 2020 Wiss. Referent in der Denkmalerfassung beim LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, Pulheim-Brauweiler
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Architekturgeschichte des 19.–21. Jh.s, bes. Nachkriegs- und Postmoderne; Theorie und Praxis der Denkmalpflege; Gartenkunst; bürgerschaftliches Engagement; Bildungsarbeit und Lehrtätigkeit in Baukultur und Denkmalpflege
Publikationsauswahl
  • (Hg. mit Constanze Moneke und Martin Neubacher) Beethovenhalle Bonn. Konzerthaus. Festsaal. Denkmal, Bonn 2010.
  • Die Zukunft von Sakralbauten im Rheinland (Bild – Raum – Feier. Studien zu Kirche und Kunst 10), Regensburg 2015.
  • Der Beitrag der Nachkriegsmoderne zur Gestalt der europäischen Stadt, in: Christa Reicher et al. (Hgg.): Kulissenzauber? Stadtquartiere zukunftsfähig gestalten (Beiträge zur Städtebaulichen Denkmalpflege 5), Essen 2015.
  • Beiträge in der Reihe Architekturführer der Werkstatt Baukultur Bonn, u. a. Bd. 1: Beethovenhalle (2014), Bd. 2: Frankenbad (2013), Bd. 3: Stadttheater (2015), Bd. 4: Stadthaus (2014), Bd. 6: Juridicum (2016), Bd. 12: Stadthalle Bad Godesberg (2019).
  • Wahn, Zwang, Labilität. Beobachtungen zur Psychopathologie der Denkmalpflege, in: Stephanie Herold und Gerhard Vinken (Hgg.): Denkmal_Emotion. Politisierung – Mobilisierung – Bindung, Holzminden 2021, S. 96–101.
Kurzbiografie Ulrike Plate
1981–1992Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Vor- und Frühgeschichte in Stuttgart, Köln und Tübingen (Magisterarbeit: „Die Kirche in Boxberg-Wölchingen“)
1992Promotion in Tübingen („Das ehemalige Benediktinerkloster Murrhardt. Archäologie und Baugeschichte“)
1993–1994Volontärin in der Bau- und Kunstdenkmalpflege am Rheinischen Amt für Denkmalpflege in Pulheim-Brauweiler
seit 1994verschiedene Positionen im Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg
2004–2014Mitglied der AG Inventarisation der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (2007–2014 Sprecherin)
seit 2007ordentliches Mitglied der Kommission für geschichtliche Landeskunde Baden-Württemberg (seit 2012 im Vorstand)
seit 2011Lehrbeauftragte am Institut für Architekturgeschichte der Universität Stuttgart (seit 2018 Honorarprofessorin für Denkmalpflege)
seit 2016Mitglied im Arbeitskreis Theorie und Lehre in der Denkmalpflege (seit 2019 Mitglied des Vorstands)
seit 2018Mitglied der AG Fachliche Fragen des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (seit 2020 Vorsitzende)
seit 2019Landeskonservatorin im Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Geschichte, Theorie und Praxis von Denkmalpflege und Denkmalschutz
Publikationsauswahl
  • Denkmalkunde – die zentrale Aufgabe für Denkmalschutz und Denkmalpflege, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 38 (2009), S. 68–74.
  • Was macht das Denkmal zum Denkmal – Denkmalbegründungen als Grundlage für eine erfolgreiche Konversion, in: Freie und Hansestadt Hamburg (Hg.): Konversionen: Denkmal – Werte – Wandel. Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger, 2014, S. 52–55.
  • Geschichten am Wegesrand – jenseits des amtlichen Stempels, in: AK Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V. (Hg.): Denkmal – Werte – Bewertung. Denkmalpflege im Spannungsfeld von Fachinstitution und bürgerschaftlichem Engagement, Holzminden 2014, S. 86–93.
  • Blick in die Geschichte. Zur Gründung des Landesamtes für Denkmalpflege in Württemberg vor 100 Jahren, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 49 (2020), S. 74–80.
  • Die Erweiterung des Denkmalbegriffs, in: GDKE Rheinland-Pfalz (Hg.): Erinnerung und Aufbruch – Europäisches Kulturerbejahr 2018, Dokumentation / VDL-Jahrestagung Trier 2018, Petersberg 2021, S. 66–71.