Sektion 3: Modell-Architektur und Dominanzkultur
Donnerstag, 28. März 2019, 11:45–12:15 Uhr, ZHG, Hörsaal 008
Rahel Meier, Freiburg i. Ü.

Das Holyland-Modell und seine mögliche Funktion für die jüdische Dominanzkultur in Jerusalem

Das Holyland-Modell (דגם הולילנד) rekonstruiert den Zustand Jerusalems um 66 n. u. Z. im Maßstab von 1:50. Es entstand im Auftrag des Bauunternehmers Hans Kroch, der ab 1962 den Archäologen Michael Avi-Yonah für die Umsetzung gewinnen konnte. 1966 wurde das noch unfertige Modell der Öffentlichkeit übergeben und auf dem Gelände des Auftraggebers und Besitzers des Holyland-Hotels aufgestellt. 2006 wurde das 940 m² große Stadtmodell in den Außenbereich des Jerusalemer Israel-Museum verschoben. Das Modell ist auf mehreren Ebenen für die Sektion interessant:
1. Das Referenzjahr 66 n. u. Z. fällt mit dem Beginn des jüdischen Krieges zusammen, welcher 70 n. u. Z. mit der Vernichtung der Stadt und des zweiten Tempels (des Herodes) endete.
2. In der Zeit, als das Modell gebaut wurde, hatten Israelis keinen Zugang zu Jerusalem
3. Die breite Öffentlichkeit glaubt(e), dass es sich um ein Abbild der antiken Realität handelt.
4. Der Tempel des Herodes aus dem Modell wurde und wird in zahlreichen Publikationen über das antike Jerusalem als Bildmaterial verwendet (Yael Padan: Modelscapes of nationalism, S. 100).
5. Das Modell wurde aus denselben Materialien gebaut wie die Gebäude der antiken Stadt: Kalkstein für die normalen Wohnhäuser, Marmor für den Palast des Herodes und für den Tempel, Gold für die Kapitelle der Säulen der inneren Tempeltore etc. Die Kostbarkeit der Materialien trug gemäß Yoram Tsafrir viel zur Glaubwürdigkeit der Rekonstruktion bei (Yael Padan: Modelscapes of nationalism, S. 90).
Die Vorstellung des Aussehens des Tempels und seiner Existenz auf dem Tempelberg, dem Standort kulturell bedeutender Sakralbauten (al-Aqsa Moschee und Felsendom), hat sich tief im kulturellen Gedächtnis der Israelis verankert. Im Modell können die heute noch sichtbaren, störenden Elemente, der zweitheiligste Ort der islamischen Kultur, getilgt werden. Mit einer zwar fiktiven, aber doch eindrücklichen, an antiken Bauten orientierten Architektur ist der Nährboden für den Wunsch nach einem neuen jüdischen Tempel in Jerusalem geschaffen. Der Beitrag versucht die Funktionen des Holyland-Modells für die Bildung und die Festigung des jüdischen Geschichtsbewusstseins aufzuzeigen, wobei die Entwicklung und die angedeutete Instrumentalisierung und Breitenwirkung des Modells bereits erahnen lassen, worum es im Kern ging und geht: die Propagierung des Anspruchs auf den Tempelberg als einem jüdischen Ort.
Kurzbiografie Rahel Meier
2005–2011Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie in Zürich, Basel und Paris (u. a. Tutorin, Praktikantin am DFK Paris)
seit 2010Stiftungsrätin der „Eduard, Ernst und Max Gubler-Stiftung“ in Zürich
2012Förderpreis für Kunstwissenschaft 2012 – Kategorie Junior der Alfred Richterich Stiftung
2015–2016Forschungsaufenthalt am KHI; Organisation der Tagung „Journeys of the Soul. Multiple Topographies in the Camposanto of Pisa“ an der SNS in Pisa
2013–2018Doktorandin, Beitragsempfängerin Doc.CH, SNF (Dissertation zur Terra Santa-Legende, deren Entstehung in Jerusalem und ihre Bedeutung für den Camposanto in Pisa)
2017Gründung und Leitung einer Schreibgruppe sowie von Textfeedback-Gruppen an der Bibliothek der Universität Zürich
seit 2018Post-Doc, Residenzplatz im Istituto Svizzero in Rom (Forschungsprojekt zum Camposanto Teutonico in Rom)
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Historische Narrative und ihre politische Agenda (v. a. in Bezug auf Jerusalem)
Publikationsauswahl
  • (Hg. mit Michele Bacci und David Ganz) Journeys of the Soul. Multiple Topographies in the Camposanto of Pisa, Tagungsband; darin: Ein Witz und eine grinsende Fratze an der Südfassade des Camposanto zu Pisa?, in Vorbereitung.
  • Wie kommt der Florentiner Dom in den Kapitelsaal von Santa Maria Novella in Florenz?, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, in Vorbereitung.
  • Artikel zur Entstehung der Terra-Santa-Legende im 13. Jahrhundert in Jerusalem für die Japanische Zeitschrift 死生学・応用倫理研究 24 [= Bulletin of Death and Life Studies], in Vorbereitung.