Sektion 9: Objekt oder Werk? Für eine Wissensgeschichte der Kunst
Donnerstag, 28. März 2019, 10:15–10:45 Uhr, ZHG, Hörsaal 009
Gustav Roßler, Berlin

Dinge als Träger und Medien der Kunstgeschichte

Gefragt wird, ob der Dingbegriff als Rahmen für die vielfältigen materiellen und stofflichen Schichten und Prozesse taugt, die in und an einem Kunstwerk am Wirken sind. Kann er die Spannung zwischen Objekt und Werk auffangen? Wie verhält er sich zu Wissensprozessen?
Mit „Ding“ ist keineswegs eine statisch gleichbleibende Entität gemeint. Dinge stehen in Prozessen und Beziehungen, und können eine methodologisch raffinierte Position einnehmen. Als „epistemische Dinge“ (Hans-Jörg Rheinberger) sind es jene Dinge, an denen und mittels derer erkannt wird. Der Erkenntnisgegenstand, der den Forschungsprozess leitet und womöglich abschließt, kann davon durchaus verschieden sein.
Von Vorteil ist der Dingbegriff auch insofern, als sowohl materielle Gebrauchsgegenstände als auch Kunstgegenstände unter ihn fallen. Damit lässt sich eine Aufspaltung zwischen materieller und geistiger Kultur verhindern. Aus diesem Grund verwendet ihn George Kubler in seinen Überlegungen zur „Geschichte der Dinge“. Ihn interessieren sowohl die Bedeutung, die Dinge haben, als auch ihr Dasein, ihre Existenzform. Sein Vorschlag, Artefakte in Serien zu ordnen, die kunstgeschichtlich als Formsequenzen, als einander folgende Problemlösungen interpretierbar sind, ermöglicht vielleicht einen anderen Zugang zum Zusammenhang von Wissen und Materialität. Den Hintergrund bildet der Versuch, Kunstdinge neben technischen und wissenschaftlichen Objekten (wie in den Science and Technology Studies) in die soziologische Fragestellung einer heterogenen Sozialität einzubeziehen.
Kurzbiografie Gustav Roßler
1972–1981Studium der Philosophie, Soziologie, Psychologie in Berlin und Paris; Diplom in Psychologie
seit 1983freiberuflicher Übersetzer und Publizist (seit 1992 schwerpunktmäßig im Bereich Wissenschafts- und Technikforschung)
2014Promotion am Soziologischen Institut der Technischen Universität Berlin („Der Anteil der Dinge an Gesellschaft und Kognition“)
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Soziologische Dingtheorie; Akteur-Netzwerk-Theorie; Agency in Technik und Kunst; digitale und Kunst-Öffentlichkeiten
Publikationsauswahl
  • Nachwort des Übersetzers (zum agency-Begriff), in: Andrew Pickering, Kybernetik und Neue Ontologien, Berlin 2007, S. 177–184.
  • Kleine Galerie neuer Dingbegriffe: Hybriden, Quasi-Objekte, Grenzobjekte, epistemische Dinge, in: Georg Kneer et al. (Hgg.), Bruno Latours Kollektive, Frankfurt a. M. 2008, S. 76.
  • Soziale Realisierung. Schlüssel, Menschen, Dinge, in: Bruno Latour, Der Berliner Schlüssel, Berlin 2014, S. 33–41.
  • Der Anteil der Dinge an der Gesellschaft. Sozialität – Kognition – Netzwerke, Bielefeld 2016.
  • Haben Bilder Handlungsmacht? Ein Beitrag zur Agency-Debatte anhand von Kunstwerken und Bildakten, in: Cornelius Schubert und Ingo Schulz-Schaeffer (Hgg.), Berliner Schlüssel zur Techniksoziologie, Berlin (in Vorbereitung).