Sektion 10: Objektdigitalisierung: Methoden und Perspektiven
Donnerstag, 28. März 2019, 14:45–15:15 Uhr, ZHG, Hörsaal 105
Christofer Herrmann, Berlin

Objektforschung als objektive Forschung. Möglichkeiten einer komplexen empirischen Kunstgeschichte am Beispiel des Hochmeisterpalastes auf der Marienburg

Der 1380/96 errichtete Hochmeisterpalast auf der Marienburg/Malbork zählt zu den herausragenden Fürstenresidenzen in Europa. Seine besondere forschungshistorische Bedeutung besteht darin, dass sich das Gebäude weitgehend original erhalten hat und zahlreiche Schriftquellen aus der Hochmeisterzeit (z. B. Rechnungsbücher) überliefert sind.
Wie soll die kunsthistorische Forschung mit einem solchen „Geschenk“ an Material- und Faktendichte angemessen umgehen? Obwohl schon seit 200 Jahren über den Hochmeisterpalast geforscht wird, hat es bislang nicht ansatzweise den Versuch gegeben, eine komplexe Bau- und Nutzungsgeschichte zu erstellen, die den gesamten Bestand der materiellen und historischen Befunde mit einbezieht. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass der mit einem solchen Ansatz verbundene erhebliche Arbeitsaufwand zu abschreckend auf potenzielle Forscher gewirkt hat. Durch die Unterstützung der DFG war es möglich, in einem Forschungsprojekt diesen Aufwand zu bewältigen und mit Hilfe moderner Erfassungstechnologien (3D-Scan) und naturwissenschaftlicher Methoden der Materialanalyse zusätzlich zuverlässige Informationen zu entnehmen.
Dabei war mit dem Problem umzugehen, wie eine für mittelalterliche Objekte ungewöhnlich hohe Informationsdichte methodisch angemessen zu bearbeiten ist. Die Lösung lag in einem Sich-Einlassen auf die Aussagen der Materialität, was zu einer flexiblen Gestaltung der Frageansätze und zur Negierung vorgefertigter Hypothesengebäude führte. Die zur Materialanalyse parallel verlaufende und an diese angepasste Entwicklung von Fragestellungen führte zu neuen Erkenntnissen, die zahlreiche „Gewissheiten“ aktueller Forschungsansätze (etwa zur höfisch-ritterlichen Kultur) in Frage stellen. Die Forschungsergebnisse werden im Frühjahr 2019 in einer umfassenden Publikation vorliegen, in der auch die Möglichkeiten aufgezeigt werden, die ein methodenreflektierender empirischer Forschungsansatz der Kunstgeschichte heute bieten kann. Dies soll im Vortrag an ausgewählten Gesichtspunkten demonstriert werden. Im Mittelpunkt steht dabei der Aspekt, welche Forschungsfragen sich mit der Digitalisierung eines Objektes besser und exakter beantworten lassen. Gleichzeitig müssen aber auch die Grenzen und Gefahren angesprochen werden, die mit einer Digitalisierung einhergehen können. Hierzu zählt etwa die Möglichkeit, fragwürdige und irrige Rekonstruktionen durch den Schein anschaulicher virtueller Bilder glaubwürdiger machen zu wollen.
Kurzbiografie Christofer Herrmann
1983–1990Studium der Kunstgeschichte, deutschen Volkskunde, Politologie und Slawistik in Mainz
1993Promotion an der Universität Mainz („Spätmittelalterliche Wohntürme im Rhein-Mosel-Gebiet“)
1993–1995Freiberuflicher Bauforscher
1995–2005Professor am Lehrstuhl für Germanistik der Universität in Olsztyn, Schwerpunkt deutsche Literaturgeschichte und Landeskunde
2005Habilitation an der Universität Greifswald („Mittelalterliche Architektur im Preußenland“)
seit 2005Professor am Institut für Kunstgeschichte der Universität Danzig
seit 2015Leiter eines DFG-Forschungsprojekts zum Hochmeisterpalast auf der Marienburg (TU Berlin, Fachgebiet Stadt- und Stadtbaugeschichte)
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Architektur des Mittelalters; Problematik der Kunstlandschaft; statistisch-empirische Verfahren zur Architekturanalyse; Bauorganisation und -finanzierung im Mittelalter; Denkmalpflege im 19. Jh.
Publikationsauswahl
  • Wohntürme des späten Mittelalters auf Burgen im Rhein-Mosel-Gebiet (Veröffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung Reihe A: Forschungen 2), Espelkamp 1995.
  • Die mittelalterliche Architektur im Preußenland, Petersberg 2007.
  • (Hg. mit Edmund Kizik) Chronik der Marienkirche in Danzig. Das „Historische Kirchen Register“ von Eberhard Bötticher (1616). Transkription und Auswertung, Köln/Weimar/Wien 2013.
  • (Hg. mit Dethard von Winterfeld) Mittelalterliche Architektur in Polen. Romanische und gotische Baukunst zwischen Oder und Weichsel, Petersberg 2015.
  • Die Appartements des Hochmeisters und der Großgebietiger im Hochmeisterpalast der Marienburg, in: INSITU 2/2017, S. 211–228.