Die Sektion fragt nach dem Status der Form für die realistische Kunstpraxis. Gustave Courbets revolutionäre Absage an die Tradition der Ideenkunst hatte nicht allein die Entbergung des empirischen Gegenstandes aus seiner mythologischen Einkleidung zur Folge. Courbets Realismus gründete vor allem in einer kritischen Durcharbeitung der neuzeitlichen Malerei und einer antiakademischen Revision ihrer formalen Gesetze. Was zeitgenössischen Kritikern als Verstoß gegen den Disegno und damit als mangelhafte künstlerische Form galt, ist heute als Ausgangspunkt der historischen Avantgarden anerkannt. Courbets taktiles Umgehen mit dem Farbmaterial wird vom Impressionismus und von der Abstraktion aufgegriffen. Die Versunkenheit seiner Figuren und ihre aperspektivische „Montage“ ist wegweisend für das surrealistische Interesse an der Wirklichkeit des Traums. Noch Gerhard Richter hat sich in das Erbe Courbets gestellt. Auch die Filmkunst hat realistische Verfahren ausgebildet, die sich über formale Methoden der Verfremdung, die das konventionelle Sinnverstehen stören, definieren. Die documenta 14 im Jahr 2017 hat hingegen das Vorbild Courbets für die unmittelbar politischen Ziele der zeitgenössischen Partizipationskunst geltend gemacht. Ist also in der gegenwärtig unter dem Label des Realismus antretenden dokumentaristisch-performativen Kunstpraxis das Problem der Form, das in den historischen Realismusdebatten zur Diskussion stand, obsolet?
Die Sektion befragt die dichotomisch in Abstraktion und Gegenständlichkeit, Formalismus und Realismus getrennte Geschichte der künstlerischen Moderne und Gegenwart anhand von vier Fallstudien zur „deadpan“-Ästhetik bei Ed Ruscha, zu Isa Genzken, „realistischen“ Bildern in Computerspielen (Hito Steyerl und Harun Farocki) sowie zur Kunst in der frühen DDR.