Sektion 6: Ästhetische Erziehung als Museumsaufgabe?
Donnerstag, 24. März 2022, 17:00–17:30 Uhr, HP, Hörsaal 2.02
Sandra-Kristin Diefenthaler, Stuttgart

„Kunst gegen Krieg“. Die Ausstellungs- und Sammlungspolitik der Staatsgalerie Stuttgart von 1945 bis 1960

„Kunst gegen Krieg“ – diesen Titel gab die Staatsgalerie Stuttgart ihrer ersten Ausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie wurde am 15. November 1945 in einer ehemaligen Wehrmachtsbaracke eröffnet, da die Räume der Staatsgalerie 1944 bei Bombenangriffen weitestgehend zerstört worden waren. Zu sehen waren Arbeiten auf Papier u. a. von Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Max Beckmann, Otto Dix und George Grosz. Die Stuttgarter Zeitung (21.11.1945) konstatierte: „Mit den verschiedenen graphischen Ausdrucksmitteln ist hier ganz unmittelbar Stellung zum Zeitgeschehen genommen. Wenn diese Künstler vorübergehend als ‚Entartete‘ mundtot gemacht wurden, so leistete sich das Dritte Reich einen unfreiwilligen Witz, denn gerade sie waren es ja, die für die Würde und den Adel der menschlichen Art eingetreten sind.“ Der erzieherische Impetus der Ausstellung traf auf zum Teil heftige Ablehnung: Auf zwei Werke wurden Attentate ausgeführt, die Briefzuschriften enthielten neben Zustimmung auch massive Ablehnung. In der Folge veranstaltete die Staatsgalerie zahlreiche Ausstellungen zu Künstlern, die im Dritten Reich geächtet waren, wobei bemerkenswert ist, dass diese Ausstellungen zunächst nur Leihgaben aus Privatbesitz zeigten.

Verantwortlich für die Ausstellungen war u. a. Erwin Petermann, Konservator der Graphischen Sammlung. Er war aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei von den Nationalsozialisten verfolgt und im Konzentrationslage inhaftiert worden. Petermann war von der erzieherischen Wirkung der Kunst überzeugt: „Sie [Die Kunstwerke] wirken ja heute noch und haben die gleiche Aufgabe, gegen den Krieg zu sprechen, nur ist alles noch drohender geworden. Wir haben ja nicht mehr den Mut zu sagen: ‚Nie wieder Krieg‘, weil wir nicht daran glauben.“ (Stuttgarter Zeitung, 05.01.1946). Petermann wollte durch seine Aktivitäten eine „neue geistige Haltung“ schaffen, weshalb man nach 1945 zahlreiche Werke der Klassischen Moderne und der Gegenwartskunst kaufte. War die Staatsgalerie bis dahin keine erste Adresse für Kunst der Avantgarden, änderte sich dies maßgeblich mit der Sammlungspolitik nach dem Krieg.

Im Fokus des Vortrags stehen die Ausstellungen und Neuerwerbungen von 1945 bis etwa 1960 sowie die Frage nach der Motivation, einen neuen Sammlungsschwerpunkt zu schaffen. Für den Vortrag werden umfassend die Archivalien im Hausarchiv der Staatsgalerie, aber auch die Korrespondenzen mit den zuständigen politischen Entscheidungsträgern ausgewertet.
Kurzbiografie Sandra-Kristin Diefenthaler
2000–2006Studium der Kunstgeschichte/Bildwissenschaft, Mittelalterlichen Geschichte, Deutschen Sprache und Literatur des Mittelalters in Augsburg (Magisterarbeit: „Zwischen Naturstudium und Atmosphäre. Die Landschatszeichnungen Domenico Campagnolas“)
2008–2020Promotion an der Universität Augsburg („Christoph Schwarz. Ein Hofkünstler der Wittelsbacher im konfessionellen Zeitalter“)
2009–2012Wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Universität Augsburg
2013–2016Wiss. Volontärin und wiss. Mitarbeiterin an der Staatsgalerie Stuttgart
2017–2018Wiss. Referentin der Museumsberatung am Landschaftsverband Rheinland: Konzeption und Realisierung eines Projekts zur Provenienzforschung in Nordrhein-Westfalen
seit 2018Kuratorin für Altdeutsche und Niederländische Malerei an der Staatsgalerie Stuttgart
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Malerei und Grafik des 16. Jh.s; Museumsgeschichte; Provenienzforschung
Publikationsauswahl
  • "vil zu speculiren und zu sehen." Ein Literaturbericht zum Pommerschen Kunstschrank, in: Christof Trepesch und Christoph Emmendörffer (Hgg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, München 2014, S. 79–85.
  • Die Sammlung Barbini-Breganze. Ankauf und Bedeutung, in: Christofer Conrad (Hg.): Königliche Sammellust. König Wilhelm I. von Württemberg als Sammler und Förderer der Künste, Berlin 2014, S. 90–100, Kat.-Nr. 37–55.
  • Ein städtischer Hofkünstler: Christoph Schwarz; in: Dagmar Eichberger, Philippe Lorentz und Andreas Tacke (Hgg.): The Artist between Court and City (1300–1600) / L’Artiste entre la Cour et la Ville / Der Künstler zwischen Hof und Stadt, Petersberg 2017, S. 327–340.
  • Die unbekannte Sammlung. Kirchner, Laely und die Sammlung Gervais; in: Staatsgalerie Stuttgart (Hg.): Ernst Ludwig Kirchner. Die unbekannte Sammlung, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Dresden 2018, S. 55–69.
  • Christoph Schwarz. Hofkünstler der Wittelsbacher im konfessionellen Zeitalter, München/Berlin 2020.