Sektion 4: Formierung – Aktivierung. Formbezug in der Kunst der Moderne
Samstag, 26. März 2022, 17:00–17:30 Uhr, K2, Hörsaal 17.01
Clara Wörsdörfer, Mainz

Das transformierende Potential der Übung. Allan Kaprows „Activities“ der 1970er Jahre

Allan Kaprow wird als Begründer des Happenings in der Kunstgeschichte vorwiegend mit der Entgrenzung der Kunst, der Auflösung des Werkbegriffs und der Überführung der Kunst in Lebenspraxis assoziiert. In den 1970er Jahren entwickelte er in Kalifornien allerdings ein neues Format, mit dem er die material- und teilnehmerintensiven Happenings der 1960er Jahre mitsamt ihrem Anschein der Theatralität hinter sich lassen wollte. Bei seinen „Activities“ handelt es sich um Übungen für zwei Partner, die auf Grundlage einer schriftlichen Anleitung individuell interpretiert und ohne Publikum durchgeführt werden. Mit der Übung gewinnt Kaprow ein Format, welches eine Aktivierung der Interpreten verlangt, die über das Involvieren von Zuschauern in Happening- und Performance-Situationen deutlich hinausgeht. Mit der Übung werden Formwahrungs- wie Formgebungsprozesse in Gang gesetzt und das Üben lässt sich an das Spannungsverhältnis zwischen Selbst- und Fremdführung, Autonomie und Normativität rückbinden.

Der Vortrag nimmt anhand eines Werkbeispiels die spezifische formale Organisation dieser eigenwilligen Übungen in den Blick, zeichnet also nach, wie Kaprow mit Wiederholung, Variation, Timing, Steigerung des Schwierigkeitsgrads und Virtuosität arbeitet. Dabei wird es vor allem auch um den Verhandlungsspielraum gehen, der sich in der Aus- und Durchführung der schriftlichen Anleitung eröffnet. Sowohl das Verhältnis der beiden Interpreten zum Text als auch das Verhältnis der Interpreten zueinander ist von Auslegung, Transfer und Kommunikation bestimmt. Denn das Thema der „Activities“ ist das Praktizieren von Intimität in einer als Expressionsgemeinschaft verstandenen Partnerschaft vor dem Horizont einer neuen Subjekt- und Beziehungskultur der 1970er Jahre. Damit sind sie schließlich als (geglückter?) Versuch zu diskutieren, abermals eine künstlerische Form zu finden, die transformierend in den Gefühls- und Diskursbestand der Zeitgenossen einzugreifen vermag.
Kurzbiografie Clara Wörsdörfer
2006–2013Studium der Kunstgeschichte, Vergleichenden Literaturwissenschaft und Germanistik in Mainz und Wien (Magisterarbeit: „Die Präsenz der Geschichte als Präsenz der Toten. Adolph Menzels Zeichnungen aus der Berliner Garnisongruft“)
2006–2012Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes
2011Kuratorische Assistentin an der Schirn Kunsthalle Frankfurt
seit 2013Wiss. Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
2013–2015Projektkoordinatorin des 33. Deutschen Kunsthistorikertags „Der Wert der Kunst“ an der Universität Mainz (2015)
2017–2019Juniormitglied der Gutenberg-Akademie Mainz
2016Forschungsaufenthalt am Getty Research Institute in Los Angeles
2014–2021Promotion an der Universität Mainz („Intimität und Sozialität. Allan Kaprows Activities der 1970er-Jahre“)
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Kunst der Siebziger; Allan Kaprow; Verhältnis zwischen Kunst, Sozialwissenschaften und Psychodisziplinen um 1970; Partizipation in der Kunst; Adolph Menzel
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