Sektion 9: Bild und Verführung: Denkmalpflegerischer Umgang mit digital erzeugten Räumen und ihren Bildern von Geschichte
Stefan Heinz, Mainz/Stuttgart

Das virtuelle Reich: Der visuelle Um­gang mit der Architek­tur des National­sozia­lis­mus im ana­lo­gen und digi­ta­­len Zeit­alter – Chan­cen und Risiken

Die Architektur des Nationalsozialismus bietet – gemessen an der Planungswut der Machthaber – einen bemerkenswert geringen Output an tatsächlich errichteten Bauten. Nicht zu Unrecht ist daher auf die propagandistische Rolle der NS-Architektur in Papier- und Modellform hingewiesen worden. Renommierte Fotografen wie Hugo Schmölz wurden beauftragt, Modellfotos und Aufnahmen gebauter Denkmälern anzufertigen, um sie in Fachzeitschriften und ideologisch motivierten Prachtbänden (z. B. Gerdy Troost: „Das Bauen im Neuen Reich“, 1938) zu publizieren. Diese Film- und Fotoaufnahmen sind noch heute Teil einer jeden TV-Dokumentation im Spartenfernsehen. In wissenschaftlicher Aufbereitung, aber auch in der allgemeinen Populärkultur (Serien wie „Man in the high castle“, Videospiele wie „Wolfenstein“) nehmen zudem inzwischen virtuelle 3D-Rekonstruktionen eine immer größer werdende Stellung ein, ohne dass die Implikationen vollständig durchdacht wurden.

Der Vortrag zielt daher auf zwei sich ergänzende Fragestellungen ab: Einerseits soll die Rolle der in verschiedenen analogen Medien publizierten Modelle vergleichend hinterfragt werden und welchen Stellenwert – bzw. in der historischen Perspektive welche propagandistische Absichten – man ihnen zugestehen muss; hier bietet sich beispielsweise der Vergleich mit Léon Kriers hochumstrittener Speer-Monografie von 1985 an. Andererseits soll der Bogen zur Methode der virtuellen Rekonstruktion bzw. Visualisierung geschlagen werden. Ihr Einsatz in der populärwissenschaftlichen Aufbereitung ist dabei jedenfalls kritisch zu beleuchten. Neben der durchaus diskutablen Frage, ob es moralisch legitim ist, die politische Kulissenarchitektur des Dritten Reiches derart zu überhöhen, stellt sich die methodische Frage nach der Veranschaulichung von Zeitschnitten. Da besonders die städtebaulichen Großplanungen einem stetigen und schnellen Wandel innerhalb von wenigen Jahren unterworfen waren, ist die Frage, welche un-gebauten Zustände visualisiert werden sollen, naheliegend. Darin liegt jedoch zugleich eine große Chance dieser Aufbereitung: Neben der allgemeinen Erschließbarkeit eröffnen frei wählbare, polyperspektivische Blickwinkel zusätzliche Betrachtungsebenen und tragen so zu einem maßgeblich erweiterten Erkenntnisgewinn bei.

Kurzbiografie Stefan Heinz
1994–2002Studium der Kunstgeschichte und Geschichte in Trier (Magisterarbeit über den Mainzer Marktbrunnen)
2008–2014Wiss. Mitarbeit im Fach Kunstgeschichte an der Universität Trier
2013Promotion („Richard von Greiffenklau und sein Grabmal – Studien zu einem geistlichen Kurfürsten an der Wende zur Neuzeit“)
2014–2016Senior Research-Fellow, PostDoc-Projekt „Identity Deletion: The strategies for architectural-urban redesign of Luxembourg during the Nazi occupation“ an der Université du Luxembourg
2017Werkvertrag zur Neuausrichtung der Dauerausstellung des Musée d’Histoire de la Ville de Luxembourg
2017–2019Geschäftsführung und pädagogische Leitung der Volkshochschule Wittlich Stadt und Land
seit 2020Wiss. Redakteur am Digitalen Stadtlexikon Stuttgart, Stadtarchiv Stuttgart
seit 2020Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Projekt „Die Deutschen Inschriften“, Bearbeitung Landkreis Cochem-Zell
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Architektur des 20. und 21. Jh.s; Kunst und Architektur des Nationalsozialismus; Skulptur der Spätgotik und nordalpinen Frührenaissance; Epigrafik; Digital Humanities in der Anwenderperspektive
Publikationsauswahl
  • (Hg. mit Andreas Tacke) Liebfrauen in Trier. Architektur und Ausstattung von der Gotik bis zur Gegenwart (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 131), Petersberg 2016.
  • Erzbischof Richard von Greiffenklau und sein Grabmal. Zur Memoria eines geistlichen Kurfürsten am Beginn der Reformationszeit (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 153), Petersberg 2017.
  • Architekturgeschichte(n): Der Neubau der Justizgebäude in Trier und Koblenz nach 1945, in: Wolfgang Bohnen und Lena Haase (Hgg.): Kontrolle, Konflikt und Kooperation. Festschrift 200 Jahre Staatsanwaltschaften Koblenz und Trier (1820–2020), München 2020, S. 147–173.
  • Im Westen nichts Neues? Die NS-Stadtplanung im annektierten Luxemburg und ihre Erforschung im digitalen Kontext, in: Richard Němec (Hg.): Raumkonstruktionen / Spatial Constructions: Digital Humanities und die ,Messbarkeit‘ des NS-Regimes [...], Berlin/Boston 2021, S. 79–104.
  • Architektur aus dem völkischen Baukasten: Stadtplanung in Esch und Luxemburg 1941–1944, in: Luxemburg und das 3. Reich. Eine Bestandsaufnahme / Le Luxembourg et le 3ème Reich. Un Etat des Lieux (Musée national de la Résistance Esch-sur-Alzette 13), Luxemburg 2021, S. 282–301.