Sektion 9: Bild und Verführung: Denkmalpflegerischer Umgang mit digital erzeugten Räumen und ihren Bildern von Geschichte
Ulrich Knufinke, Braun­schweig/Han­nover

Denkmale und Virtualität: vernichtete jüdische Architektur und ihre Re-Konstruktion

Schon bald nach der Entwicklung von Programmen, mit denen Architektur dreidimensional konstruiert und repräsentiert werden kann, wurden die neuen Werkzeuge auch für die Rekonstruktion von zerstörtem Kulturgut verwendet. Spätestens seit Mitte der 1990er Jahre waren auch die in der Zeit des Nationalsozialismus vernichteten Synagogen jüdischer Gemeinden Gegenstand virtueller Rekonstruktion geworden, und bis heute werden die sich in den Darstellungsmöglichkeiten immer weiter verfeinernden Techniken immer wieder eingesetzt – bis hin zur Virtual Reality, mit deren Hilfe zerstörte Synagogen in das gegenwärtige Bild ihrer historischen Standorte eingeblendet werden können.

Der Beitrag untersucht die Entwicklung der virtuellen Rekonstruktionen zerstörter Synagogen in den zurückliegenden Jahrzehnten – vom wissenschaftlich fundierten Modell bis zum Einsatz in Museen und Gedenkstätten oder in Apps für Kinder und Jugendliche zur Wissensvermittlung. Es wird zu fragen sein, welche Bilder von wem und für wen geschaffen werden, aber auch, was die Bilder nicht zeigen (können, wollen, dürfen). Welche Informationen vermitteln virtuelle Rekonstruktionen zerstörter Synagogen, wo liegen ihre Grenzen? Schiebt sich die Rekonstruktion im Erleben der User womöglich sogar an die Stelle des verlorenen Denkmals? Überblendet sie die Realität der – oft trost- und gedankenlosen – Orte des Verbrechens der Zerstörung der Bauten und der Menschen, die in ihnen ein und aus gingen?

Eine Analyse aktueller Beispiele von virtuell rekonstruierten Synagogen, vornehmlich aus Deutschland (zum Beispiel Nürnberg, Bamberg, Kaiserslautern, Hamburg u. v. m.), aber auch im internationalen Kontext, und ihre Einbindung in Forschung, Vermittlung und Erinnerung soll diesen Fragen nachgehen und das „Phänomen“ vor dem Hintergrund der kritischen jüdischen Kulturerbestudien diskutiert werden.

Kurzbiografie Ulrich Knufinke
1991–2001Studium der Germanistik (Literaturwissenschaft, Linguistik, Philosophie, M.A.) und der Architektur (Dipl.-Ing.) in Braunschweig
1997–2009Wiss. Mitarbeit am Institut für Baugeschichte und an der Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur der TU Braunschweig in Lehre und Forschung sowie in diversen Forschungsprojekten
2005Promotion zum Dr.-Ing. an der TU Braunschweig („Bauwerke jüdischer Friedhöfe in Deutschland“)
2009–2018Freiberufliche Tätigkeit als Kurator und Architekturhistoriker, daneben mehrere Lehraufträge
2014Habilitation an der Universität Stuttgart für Architektur- und Baugeschichte
2017LFUI Guest Professor an der Universität Innsbruck
2018Umhabilitation an die TU Braunschweig
seit 2018Wiss. Mitarbeit beim Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, Hannover
2019–2021Verwalter der Professur für Baugeschichte an der TU Braunschweig
seit 2021Wiss. Leitung der Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur an der TU Braunschweig; u. a. Mitglied im Programmausschuss DFG-Schwerpunktprogramm „Jüdisches Kulturerbe“
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Architekturgeschichte – jüdische Architektur, Moderne und Nachkriegsmoderne; Denkmalpflege; Architektur und ihr Verhältnis zu anderen Künsten/Medien; Digitalisierung in Bauforschung, Architekturgeschichte und Denkmalpflege; jüdische Kulturerbe-Studien
Publikationsauswahl
  • Bauwerke jüdischer Friedhöfe in Deutschland, Petersberg 2007.
  • Massentheater – auratische Orte der Moderne?, in: kritische berichte 44/1 (2016), S. 174–184.
  • (Hg. mit Katrin Keßler, Alexander von Kienlin et al.) Synagogue and Museum, Petersberg 2018; darin: Synagogues in Museums, Synagogues as Museums, Synagogues and Museums – Introductory Reflections on an Ambivalent Subject, S. 11–21.
  • Öffentliche Plätze der Erinnerung? Standorte zerstörter Synagogen im Bild deutscher Städte, in: Elmar Kossel und Brigitte Sölch (Hgg): Platz-Architekturen. Kontinuität und Wandel öffentlicher Stadträume vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Berlin 2018, S. 195–206.
  • (Hg. mit Andreas Brämer, Katrin Keßler et al.) Jewish Architects – Jewish Architecture?, Petersberg 2021; darin: Jewish Architects – Jewish Architecture? Biographical Studies an Architectural History as an Interdisciplinary and International Field of Research, S. 11–20.