Sektion 10: Steht die Form schon vorher fest?
Samstag, 26. März 2022, 14:45–15:15 Uhr, HP, Hörsaal 2.01
Stefan Bürger, Würzburg
Denkmalschützer/-innen im Konflikt – Zum Rollenspiel der Akteure und ihren Umgangsformen in denkmalbezogenen Formbildungsprozessen
Um die Frage vorweg zu beantworten: Nein, die Form steht nicht vorher fest! Sie kann nicht vorher feststehen – und der Ausschreibungstext zu dieser Sektion liefert die Erklärung im Prinzip bereits mit: Es wird von „Veränderungen und Fortschreibungen“, von „interpretierendem und schöpferischem Umgang“, von „denkmalpraktischem Handeln“ gesprochen und sogar davon, dass „Denkmale Individuen“ sind. Diesbezüglich scheint unterschwellig angedeutet, dass sich die „Formfragen“ am Denkmal aus der konkreten Arbeit am Denkmal, dem spezifischen Reparaturbedarf, den neuen Nutzungsanforderungen, insgesamt aus einer spezifischen „Kommunikation“ mit dem „Denkmalindividuum“ im vorbestimmten Rahmen und nach gefestigten Regeln im Umgang mit Denkmalwerten resultiert.
Die „Form“ gilt dabei als Resultat dieses begleitenden, kommunikativen Verhältnisses von Denkmal und Denkmalpflege / Denkmalpflegerin und Denkmalpfleger vor dem Hintergrund anstehender Erhaltungs- und Nutzungsanforderungen, mit eigenen Spiel- und Handlungsräumen, um die es hier dezidiert nicht gehen soll. Es geht stattdessen um die Aufweitung dieses Verhältnisses durch weitere Akteure und die sich daraus mitunter ergebenden Spannungen und Störungen: In dem Ausschreibungstext tritt diese Störung nur am Rande auf, ja sie wird anscheinend sogar geringgehalten, um die rechtlich verankerte Position und amtsmäßige Hoheit von Denkmalschutz/-pflege zu stärken, um, was auch die Form und den gestalterischen Umgang anbelangt, „zu fordern, zuzulassen oder zu verweigern“. Doch warum muss wie eingangs erwähnt, „gerungen“ werden, wann und warum „konfrontieren“ bestimmte „Eingriffe“ und „Anforderungen“?
Neben der Formfrage, die die Gestaltung der Objekte betrifft, wäre hier auf die Formfrage im Umgang der Akteure untereinander einzugehen: Welche Positionen und Rollen besetzen sie? Welche Konflikt-, Kommunikations- und Interaktionsprozesse durchlaufen sie? Und welche Konsequenzen haben diese Umgangsformen ggf. auf die Gestaltung der Objekte? Wäre nicht zu mutmaßen, dass am Ende die Gestaltung als Kompromiss nicht nur den Regeln guter denkmalpflegerischer Gestaltungspraxis folgt, sondern auch raumsoziologisch die Formen des Umgangs abbilden? Zu fragen wäre am Ende: Lassen sich ggf. Muster und Formen des Umgangs an den gestalteten Denkmalen ablesen? Und welchen Wert haben diese Bestandteile ggf. aus kulturhistorischer Perspektive?
Kurzbiografie Stefan Bürger
1991–1994 Studium Restaurierung an der Fachschule für Werbung und Gestaltung Potsdam
1995–2001 Studium der Kunstgeschichte, Mittelaltergeschichte und Ev. Theologie an der Technischen Universität Dresden
2001–2004 Promotion („Figurierte Gewölbe zwischen Saale und Neiße – Spätgotische Wölbkunst von 1400 bis 1600“)
2004–2011 Wiss. Mitarbeiter/Assistent am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft der TU Dresden
2011 Habilitation („Architectura Militaris – Festungsbautraktate des 17. Jahrhunderts von Specklin bis Sturm“)
2011–2013/14 Privatdozent am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft der TU Dresden
2013 Vertretungsprofessur am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn
seit 2014 Professor am Institut für Kunstgeschichte der Universität Würzburg
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte
Architektur/Baukultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit;
Bau-/Bildkunst des 15./16. Jh.s;
mittelalterliche Bautechnik, Bauorganisation und Bauhüttengeschichte;
Festungsbaukunst der Frühen Neuzeit;
Denkmalschutz/Denkmalpflege
Publikationsauswahl
- Überlegungen zum (raumsoziologischen) Spannungsverhältnis von Denkmalen und Menschen, in: Kunstgeschichte und Denkmalpflege. Ausbildungsperspektiven – Praxisfelder. Akten der Jahrestagung der VKKS 2014, Bern 2016.
- (H. mit Ludwig Kallweit) Capriccio & Architektur – Das Spiel mit der Baukunst, Berlin 2017, darin: Bewegungsmuster vergleichen. Die Parler-Baukunst und der Barcelona-Pavillon, S. 227–236.
- Fremdsprache Spätgotik. Anleitungen zum Lesen von Architektur, Weimar 2017.
- Raumbilder und Bildräume als Qualitäten sozialen Handelns, in: Dominic E. Delarue und Thomas Kaffenberger (Hgg.): Bildräume / Raumbilder (Regensburger Studien zur Kunstgeschichte 26), Regensburg 2017, S. 187–224.
- (Hg.) Werkmeister im Konflikt – Quellen, Beiträge und ein Glossar zur Geschichte der sog. Bauhütten. Der Annaberger Hüttenstreit und andere Streitfälle [...] (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Bd. 84/H. 5), Stuttgart/Leipzig 2020.