Sektion 7: „Die gute Form“ – Überholtes Dogma oder bewährtes Paradigma im Design?
Samstag, 26. März 2022, 10:00–10:30 Uhr, K2, Hörsaal 17.02
Max Korinsky, Berlin
Die „gute Form“ in bunten Farben – das Geschirr „Form 1/Minden“ von Melitta
Die Debatten um die „gute Form“ prägen bis heute die Auseinandersetzung mit der Gestaltung der Nachkriegsjahre. Dabei werden die mitunter dogmatischen Haltungen und unvereinbaren Positionen der Protagonisten deutlich, besonders wenn Marktinteressen auf gestalterische Grundsätze stießen. Einige Unternehmen schrieben sich die „gute Form“ als Qualitätsbehauptung ihrer Produkte auf die Fahnen. Bei anderen ergab sie sich aus dem Prozess einer kontinuierlichen gestalterischen Entwicklung nach Bedarfsaspekten. Beispielhaft für Letzteres steht die Firma Melitta. In einem langen Prozess zwischen 1908, als Melitta Bentz den „Kaffee-Urfilter“ zum Patent anmeldete, und den 1950er Jahren wurde aus der Erfindung des Kaffeefilters ein Unternehmen, das alles rund um die Kaffeezubereitung und Geschirr für die „Schrittmacher des guten Geschmacks“ anbot.
Seit den 1930er Jahren arbeitete Jupp Ernst mit der Firma zusammen und entwickelte neben der unverkennbaren Markenidentität der Firma auch den Ausbau der Produktpalette. Ziel sollte die „Spitze der Weltmarktproduktion“ sein. Er erkannte früh, dass der Kaffeefilter allein patentrechtlich schwer zu schützen ist und überzeugte den Melitta-Chef Horst Bentz, eine passende Kaffeekanne auf den Markt zu bringen, auf der der Filter stabil steht und die eine Funktionseinheit mit dem Filter bildet. Die sogenannte „Filka“ (1954) war gleichsam der Ursprung für den Entwurf des ersten Kaffeegeschirrs „Form 1/Minden“, das 1956 auf den Markt kam. Der anonyme Entwurf in vier zeittypischen Pastellfarben zeichnet sich erst auf den zweiten Blick durch seine überzeugende Gestaltung hinsichtlich Form, Material und Preis aus. Zunächst mag der funktionale Ansatz des Geschirrs durch die Farbigkeit der Geschirrteile etwas in den Hintergrund treten, erfüllt er doch eher die Suche nach dem „Heiteren“ zahlreicher Entwürfe der Nachkriegsjahre. Vor allem die Tasse greift jedoch gestalterische Details von Filter und Kanne auf. So entsteht ein funktional-ästhetisches Zusammenspiel von Kaffeezubereitung und -konsum.
Melitta gelang mit diesem Geschirr der Spagat zwischen der „guten Form“ und einem Verkaufsschlager für breite gesellschaftliche Schichten – eine Forderung, die schon am Bauhaus gestellt wurde, jedoch kaum als eingelöst betrachtet werden kann. Aus diesem Grund lohnt der Blick auf die Arbeit bei Melitta in den 1950er Jahren, als das Diktum der „guten Form“ nur zurückhaltend propagiert und dennoch in vielerlei Hinsicht überzeugend umgesetzt wurde.
Kurzbiografie Max Korinsky
2003–2009 Studium Kunst, Deutsch und Geschichte auf Lehramt an der Kunstakademie Düsseldorf und der Universtität Wuppertal
2009–2012 Studium der Freien Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf
2019 Promotion an der Kunstakademie Düsseldorf („Bruch oder Kontinuität? Das westdeutsche Alltagsdesign der 1950er-Jahre“)
seit 2020 Lehrer für Kunst, Deutsch und Geschichte in Berlin, Lehrbeauftragter am Fachbereich Gestaltung der FH Aachen
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte
Formen des Alltagsdesigns und der Gestaltung in den Nachkriegsjahren
Publikationsauswahl
- Die ästhetische Wahrnehmung von Architektur durch Klang
, in: Kunibert Bering und Rolf Niehoff (Hgg.): Urbanität. Problemfelder der Kunstpädagogik, Oberhausen 2018, S. 121–38.
- Die Reflexion der historischen Dimension des Alltäglichen: Die Küche, in: Kunibert Bering und Rolf Niehoff (Hgg.): Impulse.Kunstdidaktik 26 (2019), S. 8–15.
- Bruch oder Kontinuität? Das westdeutsche Alltagsdesign der 1950er-Jahre, Oberhausen 2020.
- Einen Schritt vorwärts, aber nicht drei – die Form 2000 von Rosenthal, in: Melanie Kurz und Thilo Schwer (Hgg.): Designentscheidungen. Über Begründungen in Entwurfsprozessen, Stuttgart 2021, S. 98–109.