Sektion 6: Räume des NS in der Demokratie: Leerstelle, Aneignung, Umnutzung oder Lernort?
Wolfgang Brauneis, Nürnberg

Die Kongresshalle auf dem Reichs­parteitags­gelände 1935–2035

Während des Reichsparteitags 1935 wurde auf dem Reichsparteitagsgelände der Grundstein für die Kongresshalle gelegt. Für die künstlerische Ausstattung waren vor allem Professorinnen und Professoren der Kunstakademie tätig – Irma Goeke und Otto Michael Schmitt entwarfen Wand- und Bodenteppiche, Max Körner Wandbeschriftungen, Blasius Spreng Mosaike und Ernst Andreas Rauch Plastiken und Reliefs. Kriegsbedingt wurden die Arbeiten 1941 eingestellt. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei der ehemaligen Kongresshalle um den zweitgrößten – nach dem KdF-Seebad Prora – erhaltenen Bau des Nationalsozialismus.

Der hufeisenförmige Komplex wird seit den 1950er Jahren als Lager für Firmen, Vereine und städtische Einrichtungen genutzt, der Innenraum ist leer geblieben. Diese Leere, in Kombination mit den unfertigen Ziegelsteinwänden, ist für das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, das seit 2001 in einem der beiden Kopfbauten untergebracht ist, von besonderer Bedeutung. Am Ende des gläsernen Anbaus lässt sich der Innenhof überblicken, wodurch sich gleichsam Größenwahn und Scheitern des NS versinnbildlichen lässt.

In den letzten Jahren rückte diese besondere architektonische und erinnerungspolitische Situation durch zwei kulturpolitische Entscheidungen in den Fokus: 2019 gab es erste Vorschläge zu einer Umnutzung in ein „Kulturareal“ nach Vorbild der Leipziger Bauwollspinnerei, aktuell sind „Ermöglichungsräume“ für Künstlerinnen und Künstler geplant, kürzlich wurde der städtische Ausstellungsraum „White Cube“ eröffnet. Zudem beschloss der Stadtrat 2021, den Interimsbau der sanierungsbedürftigen Oper ab 2025 für zehn Jahre im Innenhof und ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im hufeisenförmigen Bau unterzubringen. Dafür müssten unzählige Fenster eingebaut werden, die das denkmalgeschützte Gebäude irreversibel verändern.

Ich möchte zum einen die kaum erforschte Bedeutung der Bildenden Kunst für die ursprünglichen Planungen zeigen, und zum anderen den Bogen spannen zu diesen Debatten und den zahlreichen kunst- und zeithistorischen Fragen, die sie aufwerfen: Welche Rollen spielt die Leere als Gedenkort des NS, welche das offensichtlich Unfertige? Welche Bedeutung wird der zeitgenössischen Kunst zur Umcodierung dieses Baus zugeschrieben? Wie sind die verwendeten Begrifflichkeiten – Kunst als „Laboratorium“, Architektur und Kunst des NS als „Unkultur“ – zu bewerten? Sind die Maßstäbe des Denkmalschutzes für NS-Bauten besondere? Inwieweit wird die zeithistorische Vermittlung beeinträchtigt?

Kurzbiografie Wolfgang Brauneis
1992–2001Studium der Kunstgeschichte und Philosophie in Regensburg, Amsterdam und Köln
2003–2005Dozentur an der Hochschule für Gestaltung in Zürich
2015–2017Gastprofessur an der Kunstakademie Münster
2020–2021Kurator der Ausstellung „Die Liste der Gottbegnadeten – Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ im Deutschen Historischen Museum, Berlin
seit 2022Direktor des Kunstvereins Nürnberg – Albrecht Dürer Gesellschaft
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Kunst- und Kulturpolitik des Nationalsozialismus; Kunstvereine im 20. Jh.; Bildende Kunst und Musik im 20. Jh.
Publikationsauswahl
  • (Hg. mit Raphael Gross) Die Liste der „Gottbegnadeten“. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik, München 2021.