Berufsgruppe Museen
Freitag, 25. März 2022, 10:00–10:30 Uhr, K2, Hörsaal 17.01
Lina Dolfen, Bonn

Ein märchenhafter Aufstieg? Das H.C. Andersen Museum in Odense und wie Vermittlungsziele ein Museum formen

„Ich wurde nicht in solch einer Bruchbude geboren!“ Geradezu empört reagierte der dänische Kunstmärchenautor Hans Christian Andersen auf die Vermutung, er sei in einer ärmlichen Hütte im ärmsten Viertel der Stadt Odense geboren worden. Es handelte sich um das Haus seiner Großeltern, die Andersens zum Zeitpunkt seiner Geburt obdachlosen Eltern Unterschlupf gewährten, so die Vermutung. Obwohl dies nie sicher bestätigt werden konnte, entschied man sich, in genau dieser ärmlichen Hütte, mitten im sozialen Brennpunkt, anlässlich Andersens 100. Geburtstag 1905 ein Museum einzurichten. Doch warum bevorzugte man nicht sein Elternhaus? Hier hatte er erwiesenermaßen den Großteil seiner Zeit in Odense verbracht, der historische Bezug war klarer. Doch durch das besser gelegene und weniger ärmliche Kindheitshaus ließ sich nicht die gewünschte Narration vermitteln: Der arme Junge aus der Gosse steigt durch Fleiß und Tugend auf und gelangt zu Ruhm, Ehre und einem Platz in höheren Kreisen. So wird Andersen im Sinne der Vermittlungsintention mit Hilfe der äußeren Form des Museums zum Vorbild für die Gesellschaft stilisiert und sein märchenhafter Aufstieg zu erzieherischen Zwecken genutzt.

Immer wieder hat das H.C. Andersen Museum Umformungen sowohl im Äußeren als auch im Inneren erfahren, die mit Neudeutungen und veränderten Vermittlungszielen einhergingen. Die aktuellste Umformung ist gerade abgeschlossen worden. Im Sommer 2021 wurde das Museum in einer zauberhaften Märchenwelt neu eröffnet. Am Beispiel des H.C. Andersen Museums soll deutlich werden, wie Vermittlungsziele durch politische und gesellschaftliche Veränderungen bestimmt wurden und welche Rolle jeweils die äußere Form des Museums und die Präsentationsformen der Dauerausstellungen für die Vermittlung der gewünschten Narration spielten. Dabei wird deutlich, wie unterschiedlich ein und dasselbe Thema gedeutet werden kann und dass die Form von Museum und Ausstellung immer mitgedacht werden müssen, wenn wir von Vermittlungszielen sprechen.
Kurzbiografie Lina Dolfen
2010–2013Studium „Kunst, Musik und Medien: Organisation und Vermittlung“ in Marburg (Bachelorarbeit: „Die Ausstellungsdidaktik des Frankfurter Filmmuseums“)
2012–2013Tätigkeit in der Museumspädagogik des Frankfurter Filmmuseums
2013–2016Studium der Kunstgeschichte in Bonn (Masterarbeit: „Die Märchenbilder von Wassily Kandinsky. Zum Phänomen des visuellen Märchens in Kandinskys Frühwerk“)
2015–2016Mitarbeiterin bei der LETTER-Stiftung im Bereich Sammlungspflege
2016–2018Sachbearbeiterin für Reproduktionsrechte bei der VG Bild-Kunst in Bonn
seit 2018Promotionsstudium an der Universität Bonn (Arbeitstitel: „Es war einmal im Museum ... Vom Märchen im musealen Kontext“)
2020Wiss. Hilfskraft für Kunstgeschichte am LVR-LandesMuseum, Bonn
seit 2020Promotionsstipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Museologie; Kulturvermittlung; Inter- und Transmedialität; Erzählforschung; Kunst der klassischen Moderne
Publikationsauswahl
  • Klaus Hann, in: Offene Ateliers 2014, Ausst.-Kat. Atelierhaus des Bonner Kunstvereins, Bonn 2014, S. 11–13.
  • Die nackte Maja (La maja desnuda), 1797–1800. Goyas Akt des Anstoßes, in: Skandal. Ausgewählte Kontroversen in der Kunst, Ausst.-Kat. Paul-Clemen-Museum, Bonn 2015, S. 12–13.