Sektion 1: Re-form. Form und Formwandel in der mittelalterlichen Kunst
Freitag, 25. März 2022, 12:15–12:45 Uhr, K2, Hörsaal 17.02
Gunnar Brands, Halle-Wittenberg / Stefanie Lenk, Göttingen

Eine Spolienbearbeitung aus Bari – Umformung als Bekehrungsmetapher?

Der Vortrag diskutiert die Annahme, dass mittelalterliche Reform- und Bekehrungsarbeit auch als „Rückwendung zu einem früheren, als ideal vorgestellten Zustand oder Urbild“ zu verstehen ist und dass diese Vorstellung in Gestalt von Bildtransformationen ausgedrückt werden konnte.

Ein unpubliziertes Marmorrelief ziert die Privatkapelle der Villa Romanazzi-Carducci (1876–1885) in Bari. Es handelt sich um ein attisches Grabrelief des 5. Jahrhunderts v. Chr., das ursprünglich den Verstorbenen als einen auf einem Klismos Sitzenden mit unbekleidetem Oberkörper sowie eine stehende Dienerfigur zu seiner Seite zeigte. Das Relief wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt überarbeitet und die Standfigur in einen nimbierten Petrus umgewandelt. Der Originalzustand des sitzenden bärtigen Mannes wurde hingegen beibehalten.

Die bisherige Untersuchung des Petrus und die Art und Weise, wie die Antikenüberarbeitung vorgenommen wurde, ergeben, dass die Überarbeitungen mit größerer Wahrscheinlichkeit vielmehr dem Spätmittelalter als dem 18. oder 19. Jahrhundert zuzurechnen sind. Der Umstand, dass attische Grabreliefs in Süditalien außerordentlich selten sind und Bari und seine Nachbarorte eine große Zahl von Spolien aus dem griechischen Osten aufweisen, legt den Verdacht nahe, dass Kreuzfahrer das Grabrelief nach Apulien gebracht haben könnten.

Wie erklärt sich die gezielte Umformung unter Beibehaltung einer Hälfte des ursprünglichen Reliefs? Wandelte der Bildhauer das Grabrelief in eine Bekehrungsszene um, indem er Petrus bei der Konversion eines Heiden zeigt, oder repräsentiert der Verstorbene einen prominenten Repräsentanten der antiken Welt, etwa einen Philosophen? Wir argumentieren, dass es nicht zufällig eine antike Spolie war, die zur Grundlage der Darstellung gemacht wurde. Der Bildhauer zeigt durch die partielle Adaption das im heidnischen Stück angelegte Potential zur Christianisierung auf. Es handelt sich mithin nicht um eine „Rückwendung“, sondern um eine Hinführung zum Urbild.

Der Vortrag basiert auf der Zusammenarbeit mit Prof. Hans Goette (DAI Berlin, Universität Gießen).
Kurzbiografie Gunnar Brands
1977–1985Studium der Klassischen Archäologie, Christlichen Archäologie, Alten Geschichte, Latein in Bonn, Heidelberg und Rom; Studium der Architektur an der RWTH Aachen
1985Promotion an der Universität Bonn („Republikanische Stadttore in Italien“)
1993–1994Habilitation an der FU Berlin („Studien zur spätantiken Architektur in Syrien und Mesopotamien“), Fellow for Byzantine Studies at Dumbarton Oaks/Harvard University, Fulbright Fellow
seit 1994Professor für Orientalische Archäologie, Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Spätantike Architektur, Mosaiken, Skulptur; Wissenschaftsgeschichte
Kurzbiografie Stefanie Lenk
2008–2011Studium der Kunst- und Bildgeschichte und Geschichte in Berlin (B.A.)
2011–2012Studium „Curating the Art Museum“ am Courtauld Institute of Art (M.A.)
2012–2013Studium „Medieval Studies“ an der Universität Oxford (M.St.)
2013–2018Promotion an der Universität Oxford („Baptismal art and identity construction in the Western Mediterranean in the fifth and sixth centuries“)
2016–2018Kuratorin im Projekt „Empires of Faith“ am British Museum in London
2018–2021Wiss. Mitarbeiterin an der Universität Bern
2020–2021Fellow am Center for Advanced Study „RomanIslam“ Hamburg
seit 2021Wiss. Mitarbeiterin an der Universität Göttingen
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte „Material religion“ in Spätantike und Mittelalter; frühmittelalterliche Baptisterien des westlichen Mittelmeerraums; transkulturelle Beziehungen im mittelalterlichen Mediterraneum; museale Präsentation religiöser Kunst im 19. und 20. Jh.; Methodik kollaborativen und interdisziplinären Arbeitens
Publikationsauswahl
  • (Hg. mit Jaś Elsner) Imagining the Divine. Art and the Rise of World Religions, Ausst.-Kat. Ashmolean Museum, Oxford 2017.
  • (mit Philippa Adrych et al.) Images of Mithra, Oxford 2017.
  • Iberian Christians and the classical Past – The Baptistery of Milreu/Estói (Algarve) at the End of Late Antiquity, in: Horst Bredekamp und Stefan Trinks (Hgg.): Transformatio et Continuatio: Forms of Change and Constancy of Antiquity in the Iberian Peninsula 500–1500, New York 2017, S. 63–91.
  • Ferdinand Piper’s “Monumentale Theologie” (1867) and Schleiermacher’s Legacy – The Attempted Foundation of a Protestant Theology of Art, in: Jaś Elsner (Hg.): Art and Religion from India to Ireland. Historiographic Trends in the Study of the 1st Millennium, Cambridge 2020, S. 161–185.
  • Christian Reuse of temples and its ecclesio-political implications at times of religious conflict: The cella-baptistery of Jbel Oust in late antique Africa Proconsularis, in: Stefan Heidemann und Sabine Panzram (Hgg.): Publications of RomanIslam, 2021 (im Erscheinen).