Prof. Dr. Bettina Brandl-Risi
Institut für Theater- und Medienwissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Theater als „Raumkunst“ zu verstehen, gehörte zu den Gründungsthesen der Disziplin Theaterwissenschaft vor rund 100 Jahren, womit eine langanhaltende Konjunktur des Modells „Theater als Bild“ sich dem Ende zuneigte. Diese augenscheinliche Oppositionsbeziehung verstellt allerdings den Blick auf jene Übergängigkeit und Verschränktheit von Bild- und Raumerfahrungen im Theater, die vielleicht nirgends so deutlich wirksam wird wie im Falle der historischen Tableaux vivants, die vordergründig Bildlichkeit als spezifische Zeitwahrnehmung jenseits von Flüchtigkeit postulieren, dabei aber eine räumlich relationale Praxis sind. Zwischen Bildoberfläche und Körpervolumina changierend, entwirft das Theater als Tableau einen geteilten Raum der reziproken Bildwerdung von Akteur/-innen und Zuschauer/-innen.
Ausgehend von dieser historischen Kontextualisierung werden zeitgenössische Szenen der performativen Transformation von Räumen durch korporale Praktiken in ausgewählten Performances aufgesucht, die auf unterschiedliche Weise Bilder in Bewegung verräumlichen. Welche Produktivität birgt das historische Modell der Tableaux vivants, um Fragen nach den Anordnungen, den Handlungsweisen und den Erfahrungen von Räumen zu stellen, insbesondere, wenn diese Aufführungsräume prononciert Museumsräume sind? Anders als die als stillgestellt imaginierten historischen Tableau-Zuschauer/-innen gleichen Museumsbesucher/-innen eher Passant/-innen, durchqueren Räume gehend – die andere Assonanz von ÜberGänge aufrufend.
Gefragt werden soll in Arbeiten von Tino Sehgal („The Kiss“, Guggenheim-Museum New York 2010), Sasha Waltz („Dialoge 09“: Neues Museum, Berlin 2009) und Lindy Annis („Das Nibelungen-Projekt“, Residenz München 2021) nach dem Verhältnis von Präsenz und Absenz von Körpern und Bildern im Raum der Aufführung, nach der zeitlichen Aufladung von Räumen mit Erinnerung und dem Bleiben der Gegenwart der Performance in dieser anderen Raumerfahrung, nach der (aufmerksamkeits-)ökonomischen Aufladung der geteilten Räume und nach der sozialen Situation der Begegnung wie der Befragung von Ordnungen, die die Praxis des Gehens und In-Bewegung-Versetzens impliziert.
➔ auf der Seite des Instituts für Theater- und Medienwissenschaft der FAU