Donnerstag, 24. März 2022, 10:00–10:20 Uhr, K2, Hörsäle 17.01 & 17.02
Christian Freigang, Berlin

Form und Technik. Para-Diskurse um das deutsche Neue Bauen

Der Gegenbegriff zum Paradigma der künstlerischen „Form“ in der deutschen Moderne der 1920er Jahre lautet „Technik“ und bezieht sich nicht auf handwerkliche Herstellungsprozesse, sondern auf die durchrationalisierte, großmaßstäbliche Welterfassung und -durchdringung durch die moderne Großtechnik. Der Grundkonflikt zwischen künstlerisch inspirierter Werkform und industrieller technischer Produktion ist insofern einer der zentralen, vielfach behandelten Topoi der klassischen Moderne.

Im Vortrag wird nicht erneut die Reaktion der Kunst/Architektur auf technische Produktionsbedingungen behandelt, sondern die Perspektive umgekehrt und weniger bekannte Technikdiskurse hinsichtlich der Frage der Form untersucht. Im Zentrum stehen dabei philosophische Diskurse, die in dieser Zeit vielfältig zum Verhältnis von Technik und Gesellschaft Stellung nehmen. Dabei reflektieren sie in vieler Hinsicht komplexer, als dies ein – unter den Praktizierenden verbreiteter – naiver Glaube an einen technologischen Determinismus tut. Zu besprechen sind etwa Romano Guardini, Paul Tillich, Friedrich Dessauer, Rudolf Schwarz oder Ernst Cassirer. Im Zentrum steht wiederholt die Frage, wie eine primär ökonomisch regulierte Zweckrationalität der Technik zu einer ethisch, religiös und ästhetisch begründeten Weltbewältigung transzendiert werden kann. Die Spanne reicht von einer reflektierten Fortführung des biblischen Schöpfungsauftrags in der Technik bis zu einer durch sie realisierten Konkretisierung einer prästabilisierten technischen Struktur der Welt. Zielpunkt ist dabei wiederholt das Konzept einer sich selbst transzendierenden idealen technischen „Form“, ein Konzept, das etwa dem „Werkbund“ um 1930 eine prinzipielle Legitimität vermitteln sollte.
Kurzbiografie Christian Freigang
1979–1990Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie, Geschichtlichen Hilfswissenschaften und Bibliothekswissenschaft in München, Bonn und Berlin, Abschluss mit Promotion („Die nordfranzösische Rayonnantgotik in Südfrankreich“)
1987–1991Assistant, später Suppléant maître assistant für ältere Architekturgeschichte an der École d’architecture der Universität Genf
1991–2003Wiss. Assistent, ab 1999 Oberassistent am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Göttingen
1999Habilitation („Auguste Perret, die Architekturdebatte und die Konservative Revolution in Frankreich“)
2002–2012Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt a. M.
seit 2012Professor für Geschichte und Theorie der Architektur an der Freien Universität Berlin
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Mittelalterliche Architektur, v. a. in Frankreich und Deutschland; Architektur des 19. und 20. Jh.s; Architekturtheorie; spätmittelalterliche Hofkunst; Geschichte der Kunstgeschichte
Publikationsauswahl
  • Imitare ecclesias nobiles. Die Kathedralen von Narbonne, Toulouse und Rodez und die nordfranzösische Rayonnantgotik im Languedoc, Worms 1992.
  • Auguste Perret, die Architekturdebatte und die „Konservative Revolution“ in Frankreich, 1900–1930, Berlin/München 2003.
  • Die Moderne. 1800 bis heute. Baukunst – Technik – Geschichte (WBG Architekturgeschichte 3), Darmstadt 2015, 2. Aufl. 2018.
  • Deutsche Technikdiskurse im Kontext von CIAM II, in: Helen Barr (Hg.): Neues Wohnen 1929/2009. Frankfurt und der 2. Congrès international d’architecture moderne. Beiträge des internationalen Symposions Frankfurt am Main 2009, Berlin 2011, S. 89–98.
  • Mies van der Rohe, der Werkbund und die Frage der Technik um 1930, in: RIHA Journal 0186, 30.05.2018, https://doi.org/10.11588/riha.2018.1.70240.