Sektion 2: Zur Relation von Form und Technik in den druckgrafischen Verfahren der Frühen Neuzeit
Samstag, 26. März 2022, 17:45–18:15 Uhr, K2, Hörsaal 17.02
Anna Christina Schütz, Düsseldorf
Formfindungsprozesse zwischen Zeichnung und Radierung: Chodowiecki und seine Kupferstecher
„[D]ie engen striche reiben sich nach etlichen hundert abdrucken zusammen, und machen alsdann nur graue flecken“ – mit diesen Worten kommentiert Daniel Nikolaus Chodowiecki 1775 in einem Brief an Johann Caspar Lavater Radierungen von Johann Rudolph Schellenberg, die dieser nach Zeichnungen Chodowieckis für Lavaters „Physiognomische Fragmente“ angefertigt hatte. Die Kritik ist deutlich: Die von Schellenberg gewählte Form der Darstellung erschwert den häufigen Abzug des Druckes und gefährdet die Qualität der Publikation.
Chodowiecki war seit seinem Durchbruch als gefragter Buchillustrator viel beschäftigt. Sich häufende Aufträge führten dazu, dass er äußerst ökonomisch arbeitete. Wenn er Radierungen nicht selbst anfertigen konnte oder wollte, dann beauftragte er Kupferstecherkollegen wie Geyser oder Berger mit der Umsetzung einer Vorzeichnung in das druckgrafische Bild. In meinem Vortrag möchte ich der Frage nachgehen, wie die druckgrafische Form der Radierungen Chodowieckis und der mit ihm zusammenarbeitenden Kupferstecher entstand.
Untersuchen möchte ich einerseits den Entstehungsprozess von Radierungen, zu denen Chodowiecki Vorzeichnungen anfertigte und die andere für ihn radierten (wie bei den von Geyser angefertigten Radierungen zu Goethes „Werther“). Andererseits möchte ich Kupfer betrachten, die Chodowiecki selbst radierte und zu denen Vorarbeiten erhalten sind (wie die Kalenderkupfer zu Hermes’ „Sophiens Reise“). Für seine Kupferstecher fertigte Chodowiecki deutlich detailliertere Vorzeichnungen an: Er umriss Formen mit prägnanten Umrisslinien und klärte die Verteilung von Hell und Dunkel durch Lavierungen, während er seine eigenen Vorarbeiten lediglich mit Graphitstift und roter Feder skizzierte. Wie gestaltete sich im jeweiligen Fall also der Übersetzungsprozess für den Kupferstecher und was verbindet bzw. unterscheidet die Form der Radierung von der Form der Vorzeichnung? Zu bedenken sind in diesem Zusammenhang nicht nur die Zeichen- und die Radiertechnik, sondern auch technische Verfahren wie Pause und Gegendruck vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Kunsttheorie.
Kurzbiografie Anna Christina Schütz
2006–2012 Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Bochum
2013–2017 Promotion an der Leuphana Universität Lüneburg (Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes)
2016–2020 Wiss. Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart
seit 2020 Kuratorin für Grafik vor 1800 am KUNSTPALAST Düsseldorf
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte
Kunst und Literatur des 18. Jh.s;
Grafik vor 1800
Publikationsauswahl
- Vom Kommentar zur Bildkritik. Goethes ‚Die guten Frauen, als Gegenbilder der bösen Weiber‘, in: Goethe-Jahrbuch 134 (2017), S. 31–39.
- Charakterbilder und Projektionsfiguren. Chodowieckis Kupfer, Goethes Werther und die Darstellungstheorie in der Aufklärung (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 26), Göttingen 2019.
- Der Schattenriss als Reflexionsfigur. Bild und Negativität im 18. Jahrhundert, in: Lars Nowak (Hg.): Bild und Negativität, Würzburg 2019, S. 253–273.