Sektion 9: Bild und Verführung: Denkmalpflegerischer Umgang mit digital erzeugten Räumen und ihren Bildern von Geschichte
Marc Grellert, Darmstadt / Markus Wacker, Dresden

IDOVIR - Infrastruktur für die Dokumentation von Virtuellen Rekonstruktionen

Virtuelle Rekonstruktionen haben sich als Werkzeug der Vermittlung und Forschung im Kontext von Architektur- und Stadtforschung etabliert. Dabei ist die Dokumentation und Evaluation der Rekonstruktionsprozesse ein wichtiges Element bei der Transparenz, Begutachtung und Anerkennung von Rekonstruktionslösungen. Allerdings erfolgt aktuell eine Dokumentation, die einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Ergebnis (Offenlegung der Quellen, Vorgehensweisen und Argumentationen) gerecht wird, nur in Ausnahmefällen. Mit dem DFG-geförderten Projekt IDOVIR (Infrastruktur für die Dokumentation von Virtuellen Rekonstruktionen) steht eine offene Plattform zur Verfügung, um Quellen, Rekonstruktionen und Entscheidungen schnell und niedrigschwellig zu dokumentieren und so nachvollziehbar offenzulegen.

Die Dokumentation erfolgt dergestalt, dass die Entscheidungen, aus welchen Gründen eine Rekonstruktion in der vorliegenden Weise erstellt worden ist, welche Quellen ihr zugrunde liegen, welche weiteren Varianten in Betracht gezogen wurden, aber auch welche denkbaren Varianten mit welcher Begründung verworfen wurden (nachvollziehbare Dokumentation negativer Ergebnisse), über das Internet dokumentiert und zugänglich gemacht werden. Gleichzeitig unterstützt IDOVIR die Kommunikation der Beteiligten bei der Genese einer Rekonstruktion und soll helfen, die Erstellung der Rekonstruktion sinnvoll zu strukturieren.

Die Grundidee von IDOVIR basiert auf der an der TU Darmstadt entwickelten Rekonstruktion-Argumentation-Methode. Kern dieses Ansatzes ist die räumlich-zeitliche Strukturierung eines rekonstruierten Bauwerks in verschiedene Bereiche. Jeder dieser Bereiche wird repräsentiert durch: 1. Darstellungen der Rekonstruktion (Renderings, 3D-Modelle), 2. Bilder der verwendeten Quellen und 3. eine textliche Argumentation, die erklärt, wie von den Quellen auf die Rekonstruktion geschlossen wurde. Für jeden Bereich ist es möglich, mehrere Varianten in diesem Dreiklang Rekonstruktion – Quellen – Argumentation abzubilden. Wesentlich für die Einschätzung und Evaluierung der Rekonstruktionen ist eine Klassifizierung der verwendeten Quellen und ihrer Verwendung im Projekt. Mit Hilfe einer individuell konfigurierbaren Skala kann für die Rekonstruktionen bezüglich der Kategorien Geometrie, Oberflächenstruktur und Farbgebung eine Evaluation abgegeben werden. So kann eine Einschätzung zur Datenlage und der Qualität und Plausibilität der Daten erfolgen.

Kurzbiografie Marc Grellert
seit 1994Virtuelle Rekonstruktionen von in der NS-Zeit zerstörten Synagogen
1996Diplom am Fachbereich Architektur der TU Darmstadt
1999–2003Wiss. Mitarbeit am Fachgebiet IKA der TU Darmstadt
2000Mitbegründer der Firma Architectura Virtualis
2003–2010Lehraufträge an der TU Darmstadt, Fachgebiet IKA
2007Promotion („Immaterielle Zeugnisse – Synagogen in Deutschland: Potentiale digitaler Technologien für das Erinnern zerstörter Architektur“)
seit 2010Wiss. Mitarbeit am Fachgebiet Digitales Gestalten (vormals IKA) der TU Darmstadt
seit 2011Leitung des Forschungsbereichs Virtuelle Rekonstruktion am Fachgebiet Digitales Gestalten der TU Darmstadt
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Virtuelle Rekonstruktionen; Synagogen in Deutschland; Dokumentation von Entscheidungsprozessen bei virtuellen Rekonstruktionen; Virtual Reality
Publikationsauswahl
  • Immaterielle Zeugnisse – Synagogen in Deutschland, Potentiale digitaler Technologien für das Erinnern zerstörter Architektur, Bielefeld 2007 (zugl. Diss. Darmstadt 2007).
  • Sharpness Versus Uncertainty in ‘Complete Models’. Virtual Reconstructions of the Dresden Castle in 1678, in: Stephan Hoppe und Stefan Breitling (Hgg.): Virtual Palaces, Part II Lost Palaces and their Afterlife, Virtual Reconstruction between Science and Media, München 2016, S. 119–148.
  • The Reconstruction – Argumentation Method, in: Marinos Ioannides, Eleanor Fink et al. (Hgg): Digital Heritage. Progress in Cultural Heritage: Documentation, Preservation, and Protection: 6th International Conference, EuroMed 2016, Proceedings Part I, Nicosia 2016, S. 39–49.
  • Working Experiences with the Reconstruction Argumentation Method (RAM) – Scientific Documentation for Virtual Reconstruction, in: CHNT Editorial board (Hg.): Proceedings of the 23rd International Conference on Cultural Heritage and New Technologies, Wien 2018.
  • IDOVIR – Infrastructure for Documentation of Virtual Reconstructions – Towards a Documentation Practice for Everyone, in: CHNT Editorial board (Hg.): Proceedings of the 27th International Conference on Cultural Heritage and New Technologies, Heidelberg 2022.
Kurzbiografie Markus Wacker
1992–1997Studium der Mathematik und Physik für das Lehramt an Gymnasien in Tübingen
1995–2001Studium der Romanistik (Italienisch) als Nebenfach für das Lehramt an Gymnasien in Tübingen
1997–1998Stipendium an der Scuola Normale Superiore di Pisa, Italien
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Digitale Rekonstruktionen; Dokumentation von digitalen Rekonstruktionen; semantische Erschließung von topologischen Karten mittels Deep Learning
Publikationsauswahl
  • Simplifying Documentation of Digital Reconstruction Processes, in: Sander Münster, Mieke Pfarr-Harfst et al. (Hgg.): 3D Research Challenges in Cultural Heritage II, Cham 2016, S. 256–271.
  • Dokumentation von Digitalen Rekonstruktionsprojekten, in: Piotr Kuroczyński, Mieke Pfarr-Harfst und Sander Münster (Hgg.): Der Modelle Tugend 2.0: Digitale 3D-Rekonstruktion als virtueller Raum der architekturhistorischen Forschung, Heidelberg 2019, S. 282–294.