Sektion 7: „Die gute Form“ – Überholtes Dogma oder bewährtes Paradigma im Design?
Samstag, 26. März 2022, 9:15– 9:45 Uhr, K2, Hörsaal 17.02
Renate Flagmeier, Berlin

Das Konzept der „technischen Form“ als Grundlage des Designbegriffs in der Moderne und seine ideologisch geläuterte Wiederaufnahme in der „guten Form“ der Nachkriegsmoderne

Maschinenform, technische Form, Zweckform, Form ohne Ornament – insbesondere die Frage nach der zeitgemäßen Form für alltägliche Güter prägte die programmatischen Auseinandersetzungen im Kontext von Werkbund und Bauhaus. In den Äußerungen der Akteure zwischen 1907 und dem Anfang der 1930er Jahre werden überall die tief empfundenen Widersprüche zwischen Kunst und Industrie oder Kunst und Technik erkennbar.

Um ein dezidiertes Programm für eine moderne Gestaltung sämtlicher Erscheinungen des Alltags zu entwickeln, wurden in den 1920er Jahren feste Formvorstellungen gesetzt: Obwohl die Maschine auch in dieser Phase schon alles produzieren konnte, wurde das Bild und das kulturtheoretische Konzept eines wissenschaftlich fundierten, sachlich-glatten und technisch-nüchternen Industriestils entwickelt, wie es ikonenhaft durch Stahlrohrmöbel oder die Bauhaus-Leuchte von Wilhelm Wagenfeld repräsentiert wird. Diese Formvorstellungen waren eng mit der Suche nach einem neuen Selbstverständnis des Künstlers in Abgrenzung vom Techniker oder Ingenieur verbunden. Das Konzept der Formgestaltung oder des Designs war noch nicht klar und in Abgrenzung von der freien künstlerischen Arbeit bzw. vom Kunsthandwerk ausformuliert.

Der Begriff des „Gestalters“ ersetzte erst im Laufe der 1920er Jahre zusammengesetzte Begriffe wie „Ingenieur-Künstler“. 1924 organisierte der Stuttgarter Werkbund die Ausstellung „Die Form“, in deren Konzept und begleitender Publikation sich immer noch ein Schwanken zwischen einem künstlerischen und einem eher produktionstechnisch begründeten Gestaltungsanspruch zeigte.

Erst mit der Rezeption der europäischen Moderne in den USA insbesondere durch die Ausstellungen im MoMa etablierte sich das Design als eigenständiger Bereich, verbunden mit einer aufwertenden Re-Integration in den Kunstkontext. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der in der Bundesrepublik wieder gegründete Deutsche Werkbund problemlos an die „unbelastete“ Vorkriegsmoderne anknüpfen, machte die modern gestalteten westdeutschen Produkte ausgewählter Werkbundfirmen zu Botschaftern eines moralisch besseren Deutschlands. Dabei funktionierte das Konzept der „guten Form“ mit seinen ethischen wie ästhetischen Implikationen besser als eine „technische oder sachliche Form“, die an die gerade erlebten ungeheuren Schrecknisse von Kriegsmaschinerie und Zerstörung erinnerte.
Kurzbiografie Renate Flagmeier
1978–1985Studium der Kunstwissenschaft und Romanischen Literaturen in Berlin und Paris
1991–2007Wiss. Mitarbeiterin im Werkbund-Archiv (2005–2007 projektleitende Kuratorin der Eröffnungsausstellung am neuen Museumsstandort „Kampf der Dinge – eine Ausstellung im 100. Jahr des Deutschen Werkbunds“)
seit 2000museologische Bildungsarbeit u. a. für die Museumsakademie Joanneum Graz (u. a. Leitung Internationale Sommerakademie für Museologie 2009–2011) und die Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel; div. Lehraufträge
seit 2007Leitende Kuratorin des Werkbundarchiv – Museum der Dinge
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Produkt- und Konsumkultur des 20. und 21. Jh.s; Geschichte des Deutschen Werkbunds, Designgeschichte
Publikationsauswahl
  • Die Unbeständige, in: ohne Titel. Sichern unter ... Unbeständige Ausstellung der Bestände des Werkbund-Archivs, Ausst.-Kat. Berlin 1995.
  • Das Museum – ein Mausoleum der Dinge?, in: Die Botschaft der Dinge, Ausst.-Kat. Museum für Kommunikation, Berlin 2003.
  • Partizipativ sammeln – (wie) geht das im Museum? in: Susanne Gesser et al. (Hgg.): Das partizipative Museum, Bielefeld 2012, S. 192–202.
  • (Mitherausgeberin und Autorin) Publikationsreihe „Schaukasten“ des Museums der Dinge, seit 2012.