Sektion 8: Wall labels. Beschriftungen in Ausstellungen zwischen Bild, Text und Raum
Fiona McGovern, Hildesheim

Kritik durch Fragen. Trans­for­ma­tion durch (Selbst-)Refle­xi­on

„Wann beginnt die Gegenwart?“ ist eine der Fragen, die einem schon im Baseler Straßenbild über Plakatwände und Aufsteller begegnen. Sie ist eine von vier Fragen, die den einzelnen Stockwerken der Sammlungsausstellung „Heute Nacht geträumt“ (2021/2022) von Ruth Buchanan im Kunstmuseum Basel | Gegenwart zugeordnet sind. Die anderen lauten in der deutschen Fassung „Welche Geschichte wird gezeigt?“, „Wie passt mein Körper hier hinein?“ und „Werde ich wiederkommen?“. Aufgegriffen wurden sie vom Veranstaltungsprogramm, das in Kooperation mit der Universität Basel ausstellungsbegleitend durchgeführt wurde. „Was für eine Art von Zoo ist das Museum?“ Mit dieser Frage begrüßt die Ausstellung „Das Tier in Dir. Kreaturen in (und außerhalb) der mumok Sammlung“ (2022/2023) im Wiener mumok ihre Besucherinnen und Besucher. Angebracht an der zum Foyer weisenden Glaswand im Erdgeschoss des Museums fungiert sie wie eine Leitfrage der von der Hauskuratorin Manuela Ammer und der in New York lebenden Künstlerin Ulrike Müller verantworteten Sammlungsausstellung. Die anderen, durch deren Räume verteilten Fragen beziehen sich meist auf Redewendungen, in denen Tiere vorkommen und über die Machtbeziehungen, Unrechtsverhältnisse ebenso wie ein (potenziell) zum Scheitern verurteiltes Handeln artikuliert werden: Wer sichert sich den Löwenanteil? Who puts a bug in whose ear? Wer lebt wie die Made im Speck? Who is flogging a dead horse? usw.

In beiden Fällen werden die Ausstellungsbesucher/-innen über diese Fragen direkt adressiert. In beiden Fällen ziehen sie, wenn auch auf unterschiedliche Weise, eine (selbst-)reflexive Dimension in Bezug auf das Gezeigte ein. Anders etwa als Joseph Kosuth, der in seiner Sammlungsausstellung „The Play of the Unmentionable“ im New Yorker Brooklyn Museum 1992 mit einer Vielzahl von an der Wand angebrachten Zitaten arbeitete, greifen die verantwortlichen Kuratorinnen dieser beiden Ausstellungen auf eine Praxis zurück, die vor allem aus der (kritischen) Kunstvermittlung bekannt ist. Nicht die Konstellation von Text und Bild, von Kunst und Diskurs steht hierbei primär im Fokus, sondern vielmehr der Rahmen des Gezeigten, das Museum als sammelnde und weder von gesellschaftspolitischen Umständen noch ihrem Publikum losgelöst zu denkende Institution. Im Zuge dieses Vortrags möchte ich anhand einiger Beispiele dieser Verschränkung von kuratorischer Praxis und Kunstvermittlung genauer nachgehen und sie zugleich im Kontext institutionskritischer Ansätze diskutieren.

Kurzbiografie Fiona McGovern
2002–2009Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und der Englischen Philologie in Berlin und Göttingen
2009–2014Wiss. Mitarbeit am SFB „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ an der Freien Universität Berlin
2014Promotion an der Freien Universität Berlin
seit 2018Juniorprofessur für Kuratorische Praxis und Kunstvermittlung an der Universität Hildesheim
2022Gastprofessur für Kuratorische Studien an der HFG Karlsruhe
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte (Künstlerische) Ausstellungspraxis und -geschichte; Ethiken des Kuratierens; Institutionskritik und institutionelle Politiken; inter- und transdiziplinäre Ansätze in den Künsten seit den 1960er Jahren
Publikationsauswahl
  • (Hg. mit Maren Butte, Kirsten Maar et al.) Assign & Arrange. Methodologies of Presentation in Art and Dance, Berlin 2014.
  • Die Kunst zu zeigen. Künstlerische Ausstellungsdisplays bei Joseph Beuys, Martin Kippenberger, Mike Kelley und Manfred Pernice, Bielefeld 2016.
  • (Hgg. mit Megan Francis Sullivan und Axel Wieder) Jill Johnston. Disintegration of a Critic, Berlin 2019.
  • So subversiv wie eine Tüte Chips? Versuch einer Neuperspektivierung des Artist as Curator, in: Birgit Eusterschulte und Christian Krüger (Hgg.): Involvierte Autonomie. Künstlerische Praxis zwischen Engagement und Eigenlogik, Bielefeld 2022, S. 167–188.
  • In wessen Interesse? Zu einer Ethik künstlerischer Sammlungspräsentationen, in: 21: Inquiries into Art, History, and the Visual. Beiträge zur Kunstgeschichte und visuellen Kultur 3/1 (2022) (https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/xxi/article/view/85726).