Sektion 1: Re-form. Form und Formwandel in der mittelalterlichen Kunst
Freitag, 25. März 2022, 9:15– 9:45 Uhr, K2, Hörsaal 17.02
Matthias Untermann, Heidelberg
Monastische Reform-Architektur – asketische Reduktion, Rom-Bezug oder „Baukunst“?
Ideen, Strukturen und Personenverbände der klösterlichen Reformbewegungen des Früh- und Hochmittelalters kamen zwischen 1945 und 1980 in den Fokus der historischen Mediävistik und der Kirchengeschichte. Ausgehend von Klöstern wie Gorze, Cluny, Hirsau und Cîteaux haben charismatische Äbte anspruchsvolle monastische Lebensformen als Reform benediktinischen Mönchtums propagiert, die in vielen Regionen Europas rezipiert wurden. Ebenso bedeutend waren die stiftisch organisierten Reformkanoniker mit ihrem Bezug auf die Augustinusregel. Vor allem deutsche und US-amerikanische Forscher haben rasch versucht, Ideale und Identitätskonstruktionen dieser Reformbewegungen in der Gestaltung der klösterlichen Bauten zu identifizieren. Grundrisse, aber auch Raumformen (z. B. Flachdecken) und Baudekor (wie Würfelkapitelle) wurden als „Reformbauweise“ angesprochen. Der strengen Lebensweise galt aus Sicht nicht nur der Kunstgeschichte eine reduzierte, asketische Architektur als angemessen. Trotz früh geäußerter, gut begründeter Skepsis und Kritik sind problematische Schlagworte wie „Reformarchitektur“, „Zisterzienserbauweise“ oder „hirsauische Ecknasen“ bis heute erfolgreich im Handbuchwissen der Kunstgeschichte verankert.
Die Analyse von Formwahl und Rezeptionsprozessen kann die Bauwerke und Ausstattung mittelalterlicher „Reformklöster“ und „Reformstifte“ aus kurzschlüssigen historischen Erklärungsmodellen herauslösen und in größere ästhetische Diskurse der Zeit einbinden. Viele Gestaltungsweisen sind gerade nicht als Reduktion anzusprechen, sondern als neuer, anspruchsvoller Antikenbezug. Zu diskutieren ist, ob damit keine vordergründige Hinwendung zum „alten Mönchtum“ oder – im Investiturstreit – eine Stellungnahme für das römische Papsttum angestrebt wurde, sondern ein in Kunstformen umgesetzter, hoher Qualitätsanspruch, entsprechend den neuen, gesteigerten Ansprüchen an Liturgie und klösterliche Lebensweise.
Kurzbiografie Matthias Untermann
1985–1999 Wiss. Mitarbeiter am Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Referat Archäologie des Mittelalters und Bauforschung in Stuttgart und Freiburg (Arbeitsschwerpunkte: Archäologie der Bauten monastischer Gemeinschaften, Stadtarchäologie)
1998 Habilitation in Kunstgeschichte und in Archäologie des Mittelalters an der Universität Freiburg („Forma Ordinis – Studien zur Baukunst der Zisterzienser im Mittelalter“)
seit 2000 Professor für Europäische Kunstgeschichte, Schwerpunkt Mittelalterliche Kunstgeschichte, an der Universität Heidelberg
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte
Mittelalterliche Sakralarchitektur und ihre Ausstattung;
Semantik mittelalterlicher Architektur;
Liturgiegeschichte;
Archäologie des Hoch- und Spätmittelalters, bes. im städtischen Kontext;
Methodenfragen im Dialog von Landesgeschichte, Kunstgeschichte und Bauforschung
Publikationsauswahl
- Der Zentralbau im Mittelalter. Form – Funktion – Verbreitung, Darmstadt 1989.
- Forma Ordinis. Studien zur Baukunst der Zisterzienser im Mittelalter (Kunstwissenschaftliche Studien 89), München/Berlin 2001.
- Architektur im frühen Mittelalter, Darmstadt 2006.
- (mit Dorothee Bek, Kristina Hahn und Katrin Wipfler) Klöster in Deutschland. Ein Führer, Stuttgart 2008.
- Handbuch der mittelalterlichen Architektur, Darmstadt 2009.