Sektion 2: Heilserwartung – Heilswirkung. Die öffentliche Inszenierung der Bilder im Spätmittelalter
Lena Marschall, Hamburg

Ortsbezug und Städtekonkurrenz. Die Bischofsstadt Bamberg und die Reichs­stadt Nürnberg in den gedruckten Bamberger Heiltumsbüchern und einer Londoner Handschrift

Viele Stunden dauerte das Spektakel auf dem Bamberger Domplatz. Noch heute zeugt der dem Georgschor vorgelagerte steinerne Domkranz mit Brüstung und Lesepult von den Menschenmassen, die man im ausgehenden Mittelalter alle sieben Jahre am Tag der Domweihe (6. Mai) zur ostensio reliquiarum erwartete – bis die Reformation das Großereignis unmöglich machte. Vom einstigen Reichtum der Bamberger Kirchenschätze und dem Ablauf der Weisung zeugen die strukturell an dieser orientierten Heiltumsbücher. Sieben zwischen 1493 und 1509 entstandene Druckausgaben und eine Handschrift (London, Ms. Add.15689) jenes Buchtyps haben sich aus der Bischofsstadt erhalten, mehr als aus jedem anderen mittelalterlichen Weisungsort.

Mit Blick auf Tagungsthema und -ort stehen die vielfältigen Ortsbezüge in den Heiltumsbüchern im Mittelpunkt meines Beitrags. Mehrfach wird der Weisungsort verhandelt, besonders eklatant in den Titelbildern der Drucke sowie in zwei Miniaturen des Codex, die den Stadtpatron Georg als Ritter mit Fahne sowie eine Prozession mit dem Heinrichsschrein vor Dom und Alter Hofhaltung zeigen. Werden hier Fragen zu Macht und Raum aufgeworfen, so eröffnet auch die Behandlung von Reliquien mit hoher ortsspezifischer Relevanz, wie jenen des heiligen Kaiserpaares, politische Dimensionen – nicht zuletzt durch Referenzen auf die im benachbarten Nürnberg verwahrten Reichskleinodien. Wie relevant das Thema der Städtekonkurrenz im Kontext der Heiltumsbücher ist, mag auch die Tatsache belegen, dass zwei Ausgaben des Bamberger Heiltumsbuchs in der Nürnberger Offizin Hans Mairs produziert wurden, der auch entsprechende Bücher für die Weisungen in Nürnberg und Würzburg anfertigte, teilweise gar unter Verwendung derselben Druckstöcke bei gleichzeitiger Suggestion ortsspezifischer Individualität von Titel bis Kolophon.

Ausgangspunkt der vorgestellten Überlegungen ist die Londoner Handschrift des Bamberger Heiltumsbuchs. Während die gedruckten Heiltumsbücher als preisgünstige Kleinformate eine alle Stände und Gesellschaftsschichten umfassende Erinnerungskultur belegen, wird die Funktion jenes Codex noch immer diskutiert. Entsprechend werden die aufgeworfenen Fragen insbesondere vor dem Hintergrund der medialen Differenzen von Handschrift und Drucken diskutiert.

Kurzbiografie Lena Marschall
2009–2014Bachelorstudium der Europäischen Kunstgeschichte, Philosophie und Politischen Ökonomik in Heidelberg und Paris („Die Darstellung der Hl. Elisabeth auf dem Altenberger Altar. Eine ikonographische Analyse“)
2014–2016Masterstudium der Europäischen Kunstgeschichte und Philosophie in Heidelberg („Das Bamberger Heiltumsbuch (London, British Library, Add. Ms. 15689). Die Handschrift im Kontext der Bamberger Druckausgaben“)
2017–2023Wiss. Mitarbeit am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg
2018–2023Co-Leitung des jährlichen „Interdisziplinären Doktorand*innen Workshops zu mittelalterlichen Sakralräumen“ in Leifers/Südtirol
seit 2018Promotionsvorhaben an der Universität Hamburg („Ordensbäume und Gelehrtenreihen: Genealogische Bildkonzepte im Dienst der Selbstdarstellung geistlicher Orden“)
seit 2020Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Kunst des Mittelalters und der Frühen Neuzeit; Wechselwirkung von Buchmalerei und Druckgrafik in der Frühzeit des Buchdrucks; Architektur und Ausstattung mittelalterlicher Sakralräume; Ikonografie und liturgischer Gebrauch von Altarbildern; visuelle Strategien der Selbstdarstellung geistlicher Orden
Publikationsauswahl
  • Albrecht Dürer: Der Tierpark zu Brüssel, in: Jochen Sander (Hg.): Dürer. Kunst – Künstler – Kontext, Ausst.-Kat. Frankfurt a. M., München 2013, S. 350f.
  • Tanz und Traum. Das Epitaph für Heinrich Retzlow in der Berliner Marienkirche, in: Arsprototo 1 (2017), S. 62f.
  • Der Gründer als Ahne. Genealogisches Denken in den Ordensbäumen der Prediger, in: Giuseppe Cusa und Thomas Dorfner (Hgg.): Genealogisches Wissen in Mittelalter und Früher Neuzeit. Konstruktion – Darstellung – Rezeption (Cultures and Practices of Knowledge in History 16), Berlin 2023, S. 27–59.
  • (Hg. mit Peter Schmidt) Das Bamberger Heiltumsbuch (London, British Library, Add. ms. 15689). Studien und Kommentar zum Faksimile; darin: nach de[m] rechten waren heilthumb abgezeychnet? Der Londoner Codex im Kontext der gedruckten Bamberger Heiltumsbücher (in Vorbereitung).