Sektion 1: Höhlen, Grotten und immersive Räume. Ansätze zu einer transkulturellen Bild-Raum-Wissenschaft
Florian Abe, Nürnberg

Pluritopos Grabeshöhle: Verschränkungen von Jerusalem, Bamberg und Conques um 1900

Der Bamberger Kreuzweg gilt als einer der besterhaltenen des ausgehenden Mittelalters. Kaum bekannt hingegen ist die umfangreiche Neugestaltung seiner letzten Station, der vollplastischen Grablegungsgruppe aus dem Jahr 1503 in der Kirche St. Getreu, in Form einer grottenartigen Höhle um 1900. Zusammen mit einem in dieser Maßnahme neu geschaffenen Wanddurchbruch, in den ein Glasgemälde der Stadtansicht Jerusalems hinter die Skulpturen eingesetzt wurde, entfaltet sich hier ein komplexes System räumlicher und zeitlicher Referenzen.

Der Vortrag verfolgt zwei Ziele: Zum einen soll die mediale Strategie der sukzessiven Immersion der Besucherinnen und Besucher entlang des spätmittelalterlichen Kreuzweges skizziert werden. Entlang von Stationen in Relief und Vollplastik kulminiert diese im Bild-Raum-Ensemble der neugestalteten Grotte, in der das Bamberger Licht im Glasgemälde gleichsam den Jerusalemer Himmel erleuchtet, den Ausblick auf die historische Stadtlandschaft aus der Grabeshöhle mit den leeren Kreuzen Golgathas fingiert und damit spätmittelalterliche Gestaltungsansätze aufgreift und weiterführt. Zum anderen gilt es die komplexen räumlichen und temporalen Bezüge dieses Ensembles aufzudecken. Diese entfalten sich nicht nur zwischen Jerusalem und Bamberg, sondern, so meine These, auch Conques. Von der Forschung bisher gänzlich unbeachtet blieb eine Jakobsmuschel, die, zwar prominent aber gleich einem natürlichen Fossil in den Kalksinterstein eingearbeitet, subtil Hinweis auf die Namenspatronin der Bamberger Kirche – Ste-Foy in Conques – und die Via Podiensis gibt. Relevanz erhält dieses Detail, da St. Getreu mit seiner Gründung unter Otto I. selbst Station auf einem lokalen Stellvertreter des Jakobsweges innerhalb der Bamberger Sakraltopografie entlang nach St. Jakob war. Die Grotte identifiziere ich damit gerade im Spiel von inszenierter Natürlichkeit, symbolischer Aufladung und künstlerischer Verdichtung als den geeigneten Rahmen, diese temporalen und lokalen Referenzen in einem Bild-Raum-Ensemble zu gestalten.

Mit dem hier verfolgten Ansatz einer raumspezifischen historischen Mediologie möchte der Vortrag auch einen methodischen Beitrag zur Sektion leisten.

Kurzbiografie Florian Abe
bis 2019Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie, Englischen Philologie sowie Bildenden Kunst in Berlin und Greifswald (Masterarbeit: „Im Grenzbereich des Sichtbaren: ,Die Bekehrung des Paulus‘ von Pieter Bruegel d. Ä.“)
seit 2020Promotionsstudium an der Freien Universität Berlin (Arbeitstitel: „,Die Geystlich Straß‘: Kreuzweganlagen des Spätmittelalters als immersive Ensemble urbaner Heilsvermittlung“)
2019–2022Predoctoral Fellow an der Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom, („Stadt und Raum in der Vormoderne“)
2021Tucher-Fellow am Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg
seit 2022Wiss. Referent bei der Tucher Kulturstiftung, Nürnberg
seit 2023Geschäftsführender Vorstand der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung e.V.
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Kunst- und Architekturgeschichte des 15. und 16. Jh.s; Pilgerschaft und Jerusalemrezeption im Spätmittelalter; Raumtheorie
Publikationsauswahl
  • „Der Einfluss des Himmels“: Beziehungen zwischen Klimatheorie und Gartenkunst im 18. Jahrhundert, in: Reinhard F. Hüttl, Karen David und Bernd Uwe Schneider (Hgg.): Historische Gärten und Klimawandel: eine Aufgabe für Gartendenkmalpflege, Wissenschaft und Gesellschaft, Berlin/Boston 2019, S. 77–89.
  • „Le Voyage et Oraisons du Mont de Calvaire de Romans en Daulphien“: A Pilgrim's Guide to the Stations of the Cross in Romans-sûr-Isère, in: Achim Timmermann und Pamela Stewart (Hgg.): Sacri Monti and Beyond: Holy Land Simulacra and Monumental Stational Programs, Turnhout 2024 (im Erscheinen).