Sektion 6: Räume des NS in der Demokratie: Leerstelle, Aneignung, Umnutzung oder Lernort?
Annika Büttner, Essen / Johannes Müller-Kissing, Essen

Schutzraum und Machtabbild – Hoch­bunker im Diskurs von Denkmal­schutz, Doku­men­tation und Denkmal­pflege

Wenige kulturgeschichtliche Objekte bewegen sich in einem so stark aufgeladenen Spannungsverhältnis zwischen öffentlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Interessen wie die Bauaufgabe Hochbunker als Teil des baulichen Erbes der Zeit des Nationalsozialismus. Neben den klassischen Bewältigungsstrategien der (Nach-)Kriegsgenerationen (Abriss und Verdrängung) sind es vor allem wirtschaftliche Interessen (Abriss oder Umnutzung), die diese in der Baugeschichte einmaligen Luftschutzanlagen gefährden.

Dabei hat insbesondere der im Stadtbild prägnante Hochbunker unter einer Vielzahl informativer Misskonzeptionen und ideologisch aufgeladenen Interpretationsversuchen gelitten und muss sich seinen eigenen Platz im denkmalpflegerischen Diskurs erst erkämpfen. Die Aushandlungen dieser Diskurse wurden und werden regelmäßig durch die eigentlichen Inventarisationsvorgänge der Denkmalbehörden einschließlich ihrer fachlichen Einschätzungen dokumentiert und spiegeln sich in unterschiedlichsten medial vermittelten (Bild-)Welten von Eintragungen in die Denkmalliste über Fachpublikationen bis hin zu Zeitungsartikeln wider. Dabei ging es bisher jedoch vorrangig um Fragen aus der Praxis, wie etwa der konkreten Nutzung nach Umnutzung und Umgestaltung. Der Diskurs, inwiefern es sich um unveränderliche, sozusagen invariante Bauwerke handelt, ist dagegen relativ jung.

Die Untere Denkmalbehörde Essen hat sich bereits seit 15 Jahren mit der Erforschung dieses kulturellen Erbes und dem praktischen Umgang damit beschäftigt. Ihre Bemühungen und die dabei einwirkenden internen und externen Kräfte von Presse, Bürgerinnen und Bürgern, politischen Gremien und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sollen in einer diachronen Betrachtung ihrer Entwicklung die Grundlage für eine übergeordnete Bilanz der bisherigen kunsthistorischen Adressierung mit Schwerpunkt auf dem Fachbereich Denkmalschutz und Denkmalpflege bilden. Dabei soll eine retrospektiv gerichtete Betrachtungsweise interdisziplinär zwischen Kunstgeschichte und Archäologie der Moderne – denn erst mit ihren Methoden kann das den Bunker umgebende Bodenarchiv zur Interpretation herangezogen werden – entstehen, um die bei der Bauaufgabe Hochbunker eng miteinander verwobenen Belange und Erkenntnisse der Bau- und Bodendenkmalpflege ganzheitlich zu reflektieren. Den Schwerpunkt des Vortrags bildet die Frage nach unterschiedlich gewichteten Deutungshoheiten innerhalb einer Demokratie zu Entscheidungen über bauliche Zeugnisse einer Autokratie.

Kurzbiografie Annika Büttner
2012–2021Studium der Kunstgeschichte, Linguistik und Romanischen Philologie (Italienisch) in Bochum und Neapel (Masterarbeit: „Semantik der Lineatur – Albrecht Dürers Rezeption südalpiner Kupferstichproduktion in den Medien der Zeichnung und Druckgrafik“)
2021–2022Wiss. Mitarbeit an der Ruhr-Universität Bochum
seit 2022Mitarbeit und stellv. Abteilungsleitung bei der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Essen
seit 2023Lehrauftrag an der Ruhr-Universität Bochum mit Schwerpunkt Architektur und Denkmalpflege
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Denkmalschutz und Denkmalpflege; Architektur des 20. und 21. Jh.s; Institutions- und feministische Kunstkritik; Grafik und Druckgrafik
Publikationsauswahl
  • „Prinsenhof – Hof ten Walle“; „Palais der Margarete von Österreich – Hof von Savoye“; „Palast von Koudenberg“, in: KGI RUB (Hg.): Die Kunst und Kultur Flanderns im 15./16. Jahrhundert. Ein Reiseführer des Kunstgeschichtlichen Instituts Bochum, Bochum 2020, S. 102–104; S. 138–142; S. 155–162.
  • (mit Kathrin Rottmann) „Macht euch verwandt!“ Neuer Materialismus und Ilana Halperins ökofeministische Care-Arbeit für Erdlinge, in: Die Kraft des Staunens. Der Neue Materialismus in der Gegenwartskunst, Ausst.-Kat., Bochum 2022, S. 39–50.
  • (redaktionelle Anmerkungen und Endnoten) Stephanie Marchal und Andreas Degner (Hgg.): Onstage/Backstage. Clement Greenberg’s Gauss Seminars and Other Unpublished Mansucripts (Praktiken der Kritik 2), München 2022.
Kurzbiografie Johannes Müller-Kissing
2004–2012Studium der Archäologischen Wissenschaften und Geschichte in Bochum
2012–2021Wiss. Anstellung bei verschiedenen Landschaftsverbänden und Kommunen (Bodendenkmalpflege und Projektgrabungen), nebenberuflich freiberufliche Tätigkeit mit Schwerpunkt Fortifikation
seit 2021Stadtarchäologe, nun Leitung der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Essen
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Konfliktarchäologie; Fortifikation (Bronzezeit bis 20. Jh.)
Publikationsauswahl
  • Die Falkenburg. Archäologische Untersuchungen in einem hoch- und spätmittelalterlichen Dynastensitz bei Detmold-Berlebeck, Oppenheim 2022.
  • (Hg. mit Mirjam Kötter) Flak. Die Stellungen der deutschen Flugabwehr im Zweiten Weltkrieg (Handbücher zur Archäologie der Neuzeit 1), Oppenheim 2023.