Sektion 5: Pariser Stadt-Bild-Raum-Geschichten
Jennifer Bleek, Aachen

Städtisches Mobiliar. Paris in den Perspektiven von Camillo Sitte und Aldo Rossi

Aldo Rossi (1931–1997) hat mit „L’Architettura della città“ (1966) eine „Skizze zu einer grundlegenden Theorie des Urbanen“ in die Debatte über den Städtebau eingebracht, wie schon der Untertitel der deutschen Übersetzung des Buches vermittelt. Dabei differenziert er zwei große Systeme: „Das eine betrachtet die Stadt als das architektonische Produkt von Funktionen, das andere sieht in ihr eine räumliche Struktur.“ (Die Architektur der Stadt, Gütersloh 1973, S. 15). Während das funktionalistische System von einer Analyse politischer, sozialer und ökonomischer Fakten ausgehe, ist das andere System laut Rossi eher architektonischen und geografischen Charakters. Rossi geht es um die konkrete Erfahrung der städtebaulichen Phänomene, vom Straßensystem über die Topografie der Stadt bis zu den materiellen Dingen, die man erfährt, wenn man eine Straße entlang spaziert – und damit um eine Verbindung beider Systeme, wie zu zeigen sein wird. Dabei soll an neuere Ansätze angeknüpft werden, die über die statischen Konzepte von Stadtbild und Repräsentation hinauszugehen versuchen und Bild und Raum in ein kritisches Verhältnis setzen. Hierzu gilt es, Rossis kritische Bezugnahme auf Camillo Sitte (1843–1903) im Unterkapitel „Die Stadt als Kunstwerk“ genauer zu untersuchen und auf die erwähnten materiellen Dinge im öffentlichen Raum zu beziehen. Sittes Schrift „Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen“ von 1889 hilft dabei weiter, da hier bekanntlich ebenfalls Gedanken zum Mobiliar der Stadt zu finden sind. Sitte schränkt das Thema primär auf den architektonisch gestalteten Platz ein: So wie es „möblierte Zimmer und auch leere gibt“, kann man nach Sitte von „eingerichteten und noch uneingerichteten Plätzen reden“ (Wien 1909, Reprint der 4. Aufl., Braun­schweig/Wies­baden 1983, S. 38). Sitte überträgt hier Gedanken aus dem Kunstgewerbe auf die Platz-Architektur. Erwähnenswert in diesem kunstgewerblichen Kontext ist außerdem Sittes ausführlicher Bericht über die Weltausstellung 1878 in Paris. In dem Referat sollen die Positionen von Rossi und Sitte unter bild-räumlichen Aspekten genauer untersucht und gegeneinander abgewogen werden. Die Schriften von Rossi und Sitte zeigen: Das Pariser Stadtmobiliar weist über sich selbst, seine funktionale Bestimmung hinaus und kann damit sowohl in einer historischen als auch in einer transkulturellen Perspektive betrachtet werden. Mit Sitte und Rossi wird es so auch möglich, die Perspektive zu anderen Städten zu öffnen, z. B. zu Wien, Budapest oder London.

Kurzbiografie Jennifer Bleek
1993–2001Studium der Philosophie, Kunstgeschichte und Nordamerikastudien in Berlin, Norwich und Potsdam (Magisterarbeit: „Stanley Cavells Essay über King Lear“)
2003–2007Promotion in Kunstgeschichte an der FU Berlin („Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick“)
2008–2015Habilitation am Institut für Kunstgeschichte an der RWTH Aachen („Apparition, Körper, Bild. Das Helldunkel in Malerei und Film“)
seit 2015Privatdozentin am Institut für Kunstgeschichte an der RWTH Aachen
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Ornament in der Architektur des 20. und 21. Jh.s; Architektur und Bildlichkeit; Städtebau und Platz aus kunsthistorischer Sicht
Publikationsauswahl
  • Das Ornament in der Moderne – Forschungsstand und Methodik, in: Kunstchronik 72/7 (2019), S. 379–385.
  • Rahmungen als Ornament? Filippo Brunelleschi und das Phänomen peripherer Bildlichkeit in der vormodernen Architektur, in: kritische berichte 49/1 (2021), S. 16–26.
  • Fassade und Ornament. Formgenealogien in der Gegenwartsarchitektur, Paderborn 2022.
  • Wahrnehmung ≠ Form. Konrad Fiedler und das Prinzip Arabeske, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 67/1 (2022), S. 77–91.