Sektion 5: Pariser Stadt-Bild-Raum-Geschichten
Katharina Krause, Marburg
Sühne für Verbrechen, Revolutionen, Polizeigewalt, Attentate. Eine Gewaltgeschichte der Stadt Paris in ihren Monumenten und Straßen von Charles Nodier und Auguste Régnier
Unter den Erinnerungsbüchern, die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die literarische, gelehrte und politische Topografie von Paris präsentieren, sticht 1838/1839 das dreibändige Werk von Charles Nodier (Text) und Auguste Régnier (Lithografien) in mehreren Aspekten heraus. Im Kontext der geplanten Sektion scheint mir darunter wesentlich, wie Nodier/Régnier in „Paris historique. Promenades dans les rues de Paris“ Schauplätze der Gewaltgeschichte bis in ihre jüngste Gegenwart (u. a. rue Transnonain, Fieschi-Attentat) topografisch exakt und zugleich atmosphärisch dicht vor Augen führen. Gezeigt werden Orte des obrigkeitlichen Eingreifens, der revolutionären Ausbrüche und der Attentate, die seit dem Mittelalter als Gebäude in ihrem jeweiligen urbanen Kontext manifest werden. Zu sehen geben Nodier/Régnier auch vakante Plätze, historische Baulücken als Spuren lange vergangener Gerichtsbarkeit. Aus der Sicht Nodiers, der sich als Royalist aus der revolutionären Vergangenheit seiner Jugend retten konnte, überlagern sich auf dem Territorium der Stadt Schichten der historischen Ereignisse, sie manifestieren sich in Bauten, Baulücken und Objekten. Stadtbild ist Straßenbild, ist urbaner Kontext. Das ist bemerkenswert, da es aus dem Paris des Ancien Régime und der Revolutionen keine Veduten von Straßen gibt.
Kein Ort in Paris ist „leer“. Nicht die großen historischen Ereignisse wie die Revolution von 1789, sondern die Streuung von geschichtsträchtigen Momenten über die Jahrhunderte erzeugen bei Tag und bei Nacht die aktuelle Gestalt der Stadt. Das Werk protokolliert die Eingriffe des Ancien Régime in die Stadtstruktur und ist zugleich besorgt in Erwartung der enormen Veränderungen, die die umfassenden städtebaulichen Eingriffe der Julimonarchie nach sich ziehen werden. Nodier genießt von Seiten der Literaturwissenschaft Beachtung als Autor einer „schwarzen Romantik“, bekannt ist er auch als Akteur der „Voyages pittoresques dans l’ancienne France“ – die nie nach Paris gelangten. Es gilt zu zeigen, wie „Paris historique“ außerhalb der staatlichen Unternehmungen zur Formierung denkmalpflegerischer Forschungen und Maßnahmen eine radikale und zugleich melancholische Position zur Erhaltung aller geschichtsträchtigen Orte der Stadt, gleich welcher sozialen Schicht, anbietet.
Kurzbiografie Katharina Krause
1978–1988 Studium der Kunstgeschichte, Geschichte, Klassischen Archäologie in Marburg, München und Paris
1988 Promotion in München
1988-1996 Assistentin und Oberassistentin am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg
1993 Habilitation in Freiburg
seit 1996 Professur für Kunstgeschichte in Marburg
2010-2022 Präsidentin der Philipps-Universität Marburg
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte
Französische Kunst und Architektur vom 17. bis zum 19. Jh.;
Bildkünste in Süddeutschland um 1500;
Bild und Text in der kunsthistorischen Fachliteratur
Publikationsauswahl
- Die Maison de plaisance. Landhäuser in der Ile-de-France (1660–1730), München 1996.
- Argument oder Beleg. Das Bild im Text der Kunstgeschichte, in: Katharina Krause, Klaus Niehr und Eva-Maria Hanebutt-Benz (Hgg.): Bilderlust und Lesefrüchte. Das illustrierte Kunstbuch von 1750 bis 1920, Leipzig 2005, S. 27–42.
- The Legitimation of Council Rule Through Pictures of the City and Territory of Nürnberg From the 16th to the 18th Century. Visualizing Insecurity Within an Image of Secured Order, in: Andreas Langenohl und Regina Kreide (Hgg.): Conceptualizing Power in Dynamics of Securitization, Baden-Baden 2017, S. 177–236.
- Sichtbar und sicher: Wohnhöfe des Adels in Münster in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Baden-Baden 2018.
- Gefährliche Bilder: Milchfrauen, Lumpensammler und anderes Straßenvolk in der großen Stadt, Baden-Baden 2023.