Sektion 10: Bilder und Architekturen als transkulturelle Aushandlungsräume
Cornelia Jöchner, Bochum

Türen, Tore, Transkulturalität: räumliche Schwellen als Zonen des Übersetzens

Eine der transkulturellen Grundfragen betrifft die zu leistende Übertragung von der einen in eine zweite, als „anders“ definierte Kultur: „ain andren condition“, so versteht Vredeman de Vries die Aufgabe der Übertragung vom Italienischen ins Niederländische („Architectura“, 1577). Dieser Vorgang wird heute „Übersetzung“ genannt – jener Transfer, der nicht nur eine „Transformation von Sprache im engeren Sinn“ meint, sondern ein Spektrum von „Werten, Denk-, Orientierungs- und Verhaltensmustern, nach Wissensordnungen, Konzepten und Begriffen oder nach sozialen Praktiken“ (Lässig 2019), welches sich in der Übertragung verändert. Einen derart formativen Transfer wies im 16./17. Jahrhundert die frühneuzeitliche Architektur auf, die Aushandlungsprozesse zwischen Süd- und Nordeuropa vor allem an den räumlichen Öffnungen von Gebäuden und damit an dessen sozial neuralgischen Punkten ansiedelte.

Der Vortrag rekurriert auf Schwellen des Gebäudes, welche die stilbezogene Forschung („nordischer Ornamentstil“ / „nordischer Manierismus“) meist ausblendete. Solche Schwellen aber gewährleisten eine Überwindung der manifesten Grenzen des Gebäudes: Türen, Tore, Fenster sowie Innenraumelemente wie Kamine. In Bezug auf solch primäre Raumelemente erweist sich die Architekturtraktatistik in der medial höchst belebten Kommunikation der Frühen Neuzeit sowohl als wörtliche Übersetzung wie auch als Akteurin der transkulturellen Vermittlung: Die von niederländischen Autoren-Architekten (Vredeman de Vries, Coecke van Aelst) übersetzten Bücher Serlios aus dem Italienischen nutzten erstens die Möglichkeit, die von Vitruv nicht behandelte Composita figürlich auszugestalten. Sie ermöglichten zweitens auch eine Anpassung auf die andere Sozialordnung des Nordens. Die sich auf die niederländischen Übersetzungen stützenden deutschsprachigen Traktate (u. a. Dietterlin, Krammer) wandten dies insbesondere auf Türen, Toren, Fenster und Kamine an. Dabei wurde der Schmuck am Gebäude durch Masken, Figuren und Gesichter neuartig anthropomorph aufgeladen. Hintergrund hierfür waren die vielen kleinen Residenzen und Adelshöfe in den zersplitterten deutschen Territorien, die durch ihre Einbeziehung in die höfische Kommunikation der Frühen Neuzeit einen hohen Bedarf an solchen Vorschlägen hatten. Dies zeigt sich besonders ausgeprägt in der sog. Weserrenaissance.

Kurzbiografie Cornelia Jöchner
1985–1991Studium der Kunstgeschichte, Italianistik und Europ. Ethnologie in Marburg; Studienaufenthalte in Florenz, Rom und Reggio Calabria
1996Promotion an der Universität Marburg
1996–1999Postdoktorandin im DFG-Graduiertenkolleg „Politische Ikonographie / Stadt“ am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg
1999–2005Wiss. Assistentin an der BTU Cottbus, Lehrstuhl für Theorie der Architektur
2004–2008Sprecherin des Wiss. Netzwerks „Räume der Stadt, Perspektiven einer kunsthistorischen Raumforschung“
2006–2007Stipendiatin der DFG
2007–2011Wiss. Assistenz am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut, Leitung und Aufbau der Forschungsgruppe zum Thema „Piazza e monumento“ (mit Alessandro Nova)
seit 2011Professur für Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit mit Schwerpunkt Architektur an der Ruhr-Universität Bochum
2012Habilitation an der Universität Hamburg
2016–2017Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin (Institute for Advanced Study)
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Architekturgeschichte als „entangled history“; Formung sozialer Räume durch Architektur; Sakralbau und kultische Handlungen; politische Räume (Stadt; Territorium); architektonische Raumtheorie
Publikationsauswahl
  • Die ‚schöne Ordnung’ und der Hof. Geometrische Gartenkunst in Dresden und anderen deutschen Residenzen (Marburger Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte 2), Weimar 2001 (zugl. Diss. Marburg 1996).
  • Gebaute Entfestigung. Architekturen der Öffnung im Turin des frühen 18. und 19. Jahrhunderts (Studien aus dem Warburg-Haus 14), Berlin/München/Boston 2015 (zugl. Habil. Hamburg 2012).
  • (Hg. mit Richard Hoppe-Sailer und Frank Schmitz) Ruhr-Universität Bochum. Architekturvision der Nachkriegsmoderne, Berlin 2015.
  • (mit Christin Nezik, Gáspár Salamon und Anke Wunderwald) Museale Architekturdörfer 1880–1930. Das Eigene in transnationalen Verflechtungen (Visuelle Geschichtskultur 21), Dresden 2023.
  • (mit Yvonne Northemann und Stella Köhn) Wallfahrtsarchitektur als Erfahrungsraum: Sakraltopographie und visuelle Präsentation von Gnadenstätten, Regensburg 2024 (in Vorbereitung).