Sektion 8: Wall labels. Beschriftungen in Ausstellungen zwischen Bild, Text und Raum
Seda Pesen, Wien / Luise Reit­stätter, Wien

We See as We Are Told? Se­hen und Ver­ste­hen im rela­tio­na­len Raum zwi­schen Bild, Text und Be­trach­ter/-innen

Sehen und Verstehen sind voraussetzungsvolle Tätigkeiten, die je nach Aufgabe, Situation und Kontext sich anders gestalten und den Blick auf die Welt verändern. Im symbolischen Raum des Museums sind sie von spezifischen Konventionen der Wissenspräsentation und -rezeption geprägt. Während aktuelle museologische Diskurse klar eine Öffnung zu „varied experiences for education, enjoyment, reflection and knowledge sharing“ (so die neue ICOM-Museumsdefinition) und damit eine Pluralisierung der Perspektiven vorsehen, stellt sich die Frage, wie plural das Sehen und Verstehen im Museum wirklich stattfindet. Folgen Besucherinnen und Besucher in ihrem Vertrauen in die Autorität des Museums den institutionellen Zeigegesten etwa durch die prominente Hängung oder die nähere Beschreibung von nur einigen Werken beziehungsweise noch konkreter den im Text angelegten Betrachtungs- und Deutungsweisen? Oder sind es doch eher jene als prägend beschriebenen „entrance narratives“ von Besucherinnen und Besuchern (gefasst als Vorerfahrungen bis Lernpräferenzen) beziehungsweise auch die sozialen Begleitumstände (bei einer klaren Dominanz von Gruppenbesuchen), welche die Betrachtung von Kunst im Museum prägen? In diesem Vortrag sollen all jene Zeigegesten von musealer Hängung, erläuterndem Text, gesprochenem Wort und sozialer Interaktion analysiert werden, welche im relationalen Raum von Bild, Text und Betrachter/-innen im Museum zum Einsatz kommen. Empirische Ergebnisse basieren auf der Studie „True to Life?“, welche 2022 im Oberen Belvedere in Wien mittels einer Methodenkombination (mobiles Eye-Tracking, ethnomethodologische Video- und Interaktionsanalyse, Fragebogen und stimulusgestütztes Interview) das Betrachtungsverhalten in zwei verschiedenen Displaykonditionen mit dem Fokus auf Ausstellungstexten (mit der Variation von Anzahl, Länge und Inhalt) untersuchte. Die vorgestellten Erkenntnisse verorten sich im transdisziplinären Forschungsprojekt „The Museum Gaze“, das die Expertise von Kunst- und Museumswissenschaftler/-innen der Universität Wien, Computerwissenschaftler/-innen der Technischen Universität München, Kuratoren/Kuratorinnen des Belvedere und Kultursoziologen/Kunstsoziologinnen des King’s College London verbindet.

Kurzbiografie Seda Pesen
2013–2018Bachelorstudium der Kunstgeschichte, Komparatistik und Germanistik in Bonn
2018–2022Masterstudium Curatorial and Critical Studies, Schwerpunkte: Kunstgeschichte, Ästhetische Theorie in Frankfurt a. M. („Nachäffung oder Nachfolge. Eine postkoloniale Kritik der ‚Kritik der Urteilskraft‘ Immanuel Kants“)
seit 2022Promotionsstudium im FWF/DFG-Projekt „The Museum Gaze“, Institut für Kunstgeschichte, Universität Wien, Labor für empirische Bildwissenschaft
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Ästhetische Theorie; dekoloniale Theorie; Museologie, Geschichte und Theorie des Kuratierens; Wissenschaftsgeschichte und Kunsttheorie des 18. Jh.s
Publikationsauswahl
  • (Hg. mit Neven Allgeier, Nora Cristea und Saskia Höfler-Hohengarten) Porträts, Berlin 2021.
  • (Hg. mit Neven Allgeier) Fading Temples, Berlin 2022.
Kurzbiografie Luise Reitstätter
2000–2004Studium der Kommunikationswissenschaft, Kunstgeschichte, Philosophie, Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Spanisch in Wien
2004–2010Kuratorische Arbeit im internationalen Kunstbetrieb, u. a. documenta 12 (2007), Österreich Pavillon – La Biennale di Venezia (2008 und 2009), Zusammenarbeit mit dem Künstler Philipp Gehmacher
2010–2013Promotionsstudium im Doktoratskolleg „Kunst und Öffentlichkeit“, Universität Salzburg / Mozarteum („Die Ausstellung verhandeln. Von sozialen Interaktionen im musealen Raum“)
2013–2015Freie Kuratorin und Universitätslektorin
2015–2017Wiss. Mitarbeit an der Universität für angewandte Kunst, Wien, Forschungsprojekte u. a. Autumn School „Approaching the 3s. The Spatial, the Social, and the Sensorium“ (Co-PI), „AXIOM“ Open Source Kinokamera (EU-Projektmanagement)
Seit 2017Wiss. Mitarbeit (Postdoc) am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, Leitung des Labors für empirische Bildwissenschaft, Forschungsprojekte u. a. „The Museum Gaze“ (Co-PI), „Recht auf Museum?“ (PI), „Stadt-Land-Kind“ (Co-PI)
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Kritische Museumswissenschaften, Ausstellungstheorie und -praxis; Praktiken der modernen und zeitgenössischen Kunst; kulturwissenschaftliche Methoden für visuelle und materielle Kulturanalysen
Publikationsauswahl
  • Die Ausstellung verhandeln. Von Interaktionen im musealen Raum, Bielefeld 2015.
  • Eine doppelte Diskursanalyse. Was in Leichter Sprache und über Leichte Sprache im Museum (nicht) gesagt wird, in: Nadja Al Masri-Gutternig und Luise Reitstätter (Hgg.): Leichte Sprache. Sag es einfach. Sag es laut! Praxisbeispiel Salzburg Museum, Salzburg 2017, S. 22–35.
  • Besucherverhalten. Die wechselseitige Beziehung von Raum und Handeln, in: Petra Kiedaisch, Sabine Marinescu und Janina Poesch (Hgg.): Szenographie − Das Kompendium zur vernetzten Gestaltungsdisziplin, Stuttgart 2020, S. 156–165.
  • (Hg. mit Karolin Galter) Recht auf Museum? Zehn Erkenntnisse zu musealen Öffentlichkeitskonzepten und deren Wahrnehmung, Heidelberg 2022.
  • (mit Karolin Galter und Flora Bakondi) Looking to Read. How Visitors Use Exhibit Labels in the Art Museum, in: Visitor Studies 25/2 (2022), S. 127–150.