Sektion 6: Ästhetische Erziehung als Museumsaufgabe?
Donnerstag, 24. März 2022, 17:45–18:15 Uhr, HP, Hörsaal 2.02
Klara von Lindern, Göttingen

„Mit meiner Arbeit habe ich versucht, der Institution ‚Museum‘ die Weihe einer auratischen Bedürfnisanstalt zu nehmen.“ Werner Hofmanns Hamburger Ausstellungen als Medium der Erziehung zum kritischen Museumspublikum

Wie kaum ein zweites Beispiel stehen die von Werner Hofmann während seiner Amtszeit als Direktor der Hamburger Kunsthalle kuratierten Ausstellungen für eine materialisierte Kunstgeschichtsschreibung, welche physischen Raum für gedanklich vorbereitete Experimente bot, ihrerseits jedoch wechselwirkend aus der praktischen Veranschaulichung heraus Anstoß zu neuer theoretischer Reflexion bot und nicht zuletzt wesentlich die Auffassungen von Rolle und Bedeutung von Museum und Ausstellungen in der deutschen Museumslandschaft prägte.
Unmittelbar vor dem Hintergrund der „Krise der Repräsentation“ der späten 1960er Jahre kuratierte Hofmann Ausstellungen, die nicht nur unkonventionelle Themen aufgriffen, sondern auch in ihrer Optik neuartig erschienen. Er sah die Hauptaufgabe des Museums darin, „den Menschen zu denkendem Anschauen anzuleiten“ und formulierte rückblickend als ein Kernziel seiner Arbeit, ihm „die Weihe einer auratischen Bedürfnisanstalt zu nehmen“. In ihrer Funktion als Vermittlungsmedien sind die von ihm kuratierten Ausstellungen als Hauptorte dieses Ziels zu verstehen, an welchen sich die Erziehung der Besuchenden zu kritischen Betrachtenden vollziehen sollte. Als konkrete Untersuchungsbeispiele wählt der Vortrag „Nana – Mythos und Wirklichkeit“ (1973), „Caspar David Friedrich“ aus der Reihe „Kunst um 1800“ (1974) und „Kunst – Was ist das?“ (1977). Der Fokus soll vor allem auf die Analyse ihrer Optik als temporäre, sich aus der Anordnung und Inszenierung der Exponate ergebende Gesamtbilder gelegt werden. Über die spezifische (äußere) Form der Ausstellungen, so die These des Vortrags, wurde im Zuge der Erziehung der Besuchenden zu kritischen Betrachtenden nicht zuletzt auch der Versuch einer ästhetischen (Um-)erziehung hinsichtlich musealer Sehgewohnheiten und tradierter Auffassungen vom Kunstwerk unternommen, wie an unterschiedlichen Aspekten – beispielsweise visuelles Argumentieren in Gegensätzen, räumliches Aufsplittern von Ausstellungen, Kritik an vermeintlich naturgegebenen Ordnungen, Infragestellung des Kunstbegriffes oder Verwischen der Grenzen zwischen Low und High Art – herausgearbeitet werden soll.

Zitate: Werner Hofmann: Hamburger Erfahrungen 1969–1990, Hamburg 1990; ders.: Gegenstimmen. Aufsätze zur Kunst des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1979; Mario Schulze: Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968–2000, Bielefeld 2017.
Kurzbiografie Klara von Lindern
2011–2014Studium der Kunstgeschichte und Geschichtswissenschaft in Göttingen (Bachelorarbeit: „Italien im Werk Rossettis? Untersuchungen am Gemälde The Blue Silk Dress“)
2012–2013Stud. Hilfskraft am Lehrstuhl für Theorie und Methoden der Geschichtswissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen
2013–2018Stud., später Wiss. Hilfskraft an der Zentralen Kustodie der Universität Göttingen
2014–2015Studium „History of Arts and Visual Culture“ in Oxford (Masterarbeit: „A 'Woman on Top'? Christina of Sweden and the Early Modern Equestrian Portrait“)
2015–2017Studium der Kunstgeschichte und Geschichtswissenschaft in Göttingen (Masterarbeit: „Das gezeichnete Doppelportrait um 1800“)
2016–2019Lehrtätigkeit an der Universität Göttingen
2017Kunsthistorische Fachberaterin bei GeoEpoche
2018Co-Kuratorin der Ausstellung „Face the Fact. Wissenschaftlichkeit im Porträt“ (Zentrale Kustodie Göttingen in Zusammenarbeit mit der Kunstsammlung der Universität Göttingen)
seit 2018Doktorandin am interdisziplinären Forschungskolleg „Wissen/Ausstellen“ an der Universität Göttingen (Promotionsthema: „Eine Verflechtungsgeschichte der Caspar-David-Friedrich-Ausstellungen in den 1970er Jahren“)
2019–2020Wiss. Assistentin an der Hamburger Kunsthalle, Mitarbeit an der Ausstellung „Raffael. Wirkung eines Genies“
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Museums- und Ausstellungsanalyse; Romantikforschung; westeuropäische Kunst des 19. Jahrhunderts; Theorie und Geschichte der Grafischen Künste, bes. um 1800; Methoden und Theorien der Kunst- und Kulturwissenschaft
Publikationsauswahl
  • (mit Anna Luisa Walter) Sankt Jacobi, in: Jens Reiche und Christian Scholl (Hgg.): Göttinger Kirchen des Mittelalters, Göttingen 2015, S. 150–195.
  • Ein ‚hybrides‘ Objekt? Ding-Portrait eines Nähtischklavierchens, in: Rebecca Grotjahn et al. (Hgg.): Das Geschlecht musikalischer Dinge (Jahrbuch für Musik und Gender 11), Hildesheim/Zürich/New York 2019, S. 41–54.
  • Genialer Schöpfer oder Kopist? Eine Karikatur auf Carl Wilhelm Friedrich Oesterley, in: Sonja E. Nökel und Christian Vogel (Hgg.): Gesichter der Wissenschaft. Repräsentanz und Performanz von Gelehrten in Portraits, Göttingen 2019, S. 239–242.
  • Katalogbeiträe in: Andreas Stolzenburg und David Klemm (Hgg.): Raffael. Wirkung eines Genies, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Petersberg 2021.
  • Bilderwissen und Ausstellungspolitik am Beispiel Caspar David Friedrich, in: Petra Lange-Berndt, Isabelle Lindermann und Dietmar Rübel (Hgg.): um 1800. Kunst ausstellen als wissenschaftliche Praxis (in Vorbereitung).