Sektion 1: Höhlen, Grotten und immersive Räume. Ansätze zu einer transkulturellen Bild-Raum-Wissenschaft
Olga Kienzler, Leipzig

Zusammenspiel von Architektur, Bildsprache und Verehrung: Bedeutung der Kuča-Höhlen als sakraler Ort

Die altbuddhistischen Höhlen in Kuča (Autonome Uigurische Region Xinjiang, VR China) präsentieren eine beeindruckende Welt von Wandmalereien. Die Klöster wurden in den Felsen gehauen, um spirituelle Refugien zu schaffen, die vom weltlichen Leben abgeschieden sind. Neben einfachen Wohnhöhlen gibt es komplett geschmückte Höhlen für rituelle Zwecke, die Darstellungen des Buddha und göttlicher Wesen in verschiedenen Kontexten sowie malerische Landschaften mit vielfältiger Flora und Fauna und architektonische und dekorative Motive zeigen. Im Hauptraum der Höhle finden sich Predigten und Erzählungen aus den zahlreichen Vorgeburten des Buddha. Im hinteren Teil, der vom Hauptraum getrennt ist, wird häufig der Eintritt des Buddha ins nirvāṇa dargestellt, wodurch dieser Bereich zu einem heiligen Raum wird. Das flackernde Licht der Öllampen ließ die farbenfrohen, teilweise mit Blattgold verzierten Gemälde in der Dunkelheit der Höhle erstrahlen und schuf so eine sakrale Atmosphäre, die dem Besucher das Gefühl vermittelte, in eine andere Welt einzutauchen.

Die Nutzung der Höhlen in Kuča ist Gegenstand einer kontroversen Diskussion. Eine Hypothese besagt, dass die Höhlen ähnlich wie jene auf dem chinesischen Festland als Mausoleen genutzt wurden. Eine andere Theorie geht davon aus, dass die Kuča-Höhlen nach dem Vorbild früherer buddhistischer Komplexe in Indien absichtlich in der Nähe von Begräbnisstätten angelegt wurden. Es wird angenommen, dass diese Platzierung der Höhlen auf die Rolle der buddhistischen Mönchsgemeinschaft als Schutz vor bösen Geistern zurückzuführen ist, die oft mit Grabstätten in Verbindung gebracht wurden. Möglicherweise dienten die Höhlen aber auch zur Verdienstansammlung. Vor dem Hintergrund dieser Debatten ist dieser Vortrag der Nutzung der Höhlen gewidmet. Insbesondere werden die Beziehungen zwischen Architektur, Bildsprache und Verehrung in den Höhlen sowie die Rolle der Mönche, die sich um die Spender bemühten, analysiert. Die Studie beginnt mit einer Untersuchung der frühesten buddhistischen Höhlen in Indien und ihrer architektonischen Merkmale, um ihren Zusammenhang mit der einzigartigen Höhlenarchitektur von Kuča zu ermitteln. Erforscht wird der Zweck der zahlreichen Darstellungen der Buddha-Legenden und die Botschaften, die sie den Besuchern vermittelt haben könnten. Einige Darstellungen betonen insbesondere die Überlegenheit Buddhas über die Dämonen, was Fragen nach der Zielsetzung dieser Darstellungen aufwirft. Durch die Untersuchung des Zusammenspiels von Architektur, Bildsprache und Verehrung zielt diese Studie darauf ab, die Bedeutung der Kuča-Höhlen als sakralen Ort zu erläutern und zu einem tieferen Verständnis ihrer historischen und kulturellen Bedeutung beizutragen.

Kurzbiografie Olga Kienzler
2017–2020B.A. in Indologie, Tibetologie und Mongolistik an der Universität Leipzig („Die Geschichte der Bekehrung von Hārītī in der Mūlasarvāstivāda-Vinaya-Überlieferung und den Malereien von Kuča und Mes Aynak“)
2019–2023Wiss. Hilfskraft an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Projekt „Wissenschaftliche Bearbeitung der buddhistischen Höhlenmalereien in der Kuča-Region an der nördlichen Seidenstraße“
2020–2022M.A. in Buddhist Studies an der Universität Hamburg („Representation of the Pretas on the Wall Painting in Simsim Cave 41 and Their Possible Meaning Within the Socio-Cultural and Economic System in Kucha“)
since 2023Doktorandin an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig („Kucha Caves and Rituals: An Attempt at Linking Paintings and Texts of Defensive Magic“)
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Zentralasiatische buddhistische Kunst in der Zeit zwischen dem 5. und 10. Jh.; Funktion der Kucha-Höhlen und ihrer Malereien; Darstellungen, die sich auf die magischen Rituale des Buddhismus beziehen; buddhistische Abwehrmagie
Publikationsauswahl
  • (Rezension) Michail D. Bukharin: Ost-Turkestan und die Mongolei, Band I-III: Bukharin, Michail D. Бухарин, Михаил Д. 2018, Vostočnyj Turkestan i Mongolija Восточный Туркестан и Монголия, Tom I–III [Ost-Turkestan und Mongolei, Band I–III] Moskva: Pamjatniki istoričeskoj mysli Москва: Памятники исторической мысли [Moskau: Denkmäler des historischen Denkens], in: Indo-Asiatische Zeitschrift 24 (2020), S. 15–19.