Räume des NS in der Demo­kratie: Leer­stelle, Aneignung, Umnutzung oder Lernort?

Leitung: Christian Fuhr­meister, München / Kai Kappel, Berlin

Wie umgehen mit dissonantem Erbe, zerfallenden Bauten und verstörenden Orten aus der Zeit des Nationalsozialismus? Die Sektion will weniger die Geschichte der Verdrängung sowie der teils versuchten, teils andauernden Umnutzung und Aneignung dieser Strukturen rekapitulieren. Vielmehr geht es darum, den Status quo der kunsthistorischen und architekturgeschichtlichen Adressierung dieser Herausforderungen zu bilanzieren. Weil somit der fachwissenschaftliche Zugriff selbst – methodische Grundlagen, Perspektiven und Konzepte – im Fokus steht, gerät in besonderer Dringlichkeit das Verhältnis von professioneller Expertise, politischen Positionen und Vorstellungen der Zivilgesellschaft in den Blick.

Die Beiträge – zum Weimarer Gauforum, zu stadtbildprägenden Hochbunkern, zur Kongresshalle auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände – markieren Positionen in einem Koordinatensystem. Rekonstruktion und Analyse der mit diesen Architekturen und Räumen verbundenen Diskurse tragen zur Beantwortung der zentralen Frage bei: Welche Form der inhaltlichen Auseinandersetzung ist für die räumlich komplexen Orte massenwirksamer Propaganda adäquat?

Ungeachtet der Abbrüche, Transformationen, Interventionen und Appropriierungen sind die monumentalen Raumstrukturen des Nationalsozialismus immer auch Überreste der Selbstdarstellung von Partei und Staat. Die kulturpolitischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger stehen vielerorts einer vielschichtigen Interessenslage und komplexen konservatorischen Problemen gegenüber. Die Sektion ist als offene selbstkritische Sondierung konzipiert: Welche Verfahrensweisen sind für eine zunehmend plurale und diverse europäische Gesellschaft angemessen? Wie erinnern, gestalten und vermitteln wir als nachgeborene Kunst- und Architekturhistoriker/-innen Relikte totalitärer Diktaturen?

 

 

Kurzbiografie Christian Fuhrmeister
1998Promotion an der Universität Hamburg
seit 2003Wiss. Mitarbeiter am Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München
seit 2020Apl. Prof. am Institut für Kunstgeschichte der LMU München
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Kunst, Architektur und Geschichte der Kunstgeschichte im 20. Jh.; Kunst (und Architektur) im Nationalsozialismus; Provenienz- und Translokationsforschung; NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut
Publikationsauswahl
  • Beton, Klinker, Granit. Material Macht Politik – Eine Materialikonographie, Berlin 2001.
  • (mit Manfred Hettling, Wolfgang Kruse und Bernd Ulrich) Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Entwicklungslinien und Probleme, Berlin 2019.
  • Die Abteilung „Kunstschutz“ in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propaganda 1936-1963 (Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 1), Köln/Weimar/Wien 2019.
  • (mit Barbara Murovec) Transfer of Cultural Objects in the Alpe Adria Region in the 20th Century (Brüche und Kontinuitäten: Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 006), Köln/Weimar/Wien 2022.
  • (mit Christine Tauber) Themenheft „Provenienzforschung und Kunstgeschichte – eine Autopsie“, Kunstchronik 76. Jg. / Juli 2023 / Heft 7.
Kurzbiografie Kai Kappel
1993Promotion an der Universität Mainz („S. Nicola in Bari und seine architektonische Nachfolge. Ein Bautypus des 11.–17. Jahrhunderts in Unteritalien und Dalmatien“)
1993–1999Mitarbeit im Forschungsprojekt des Kunsthistorischen Instituts in Florenz: „Die Kirchen von Siena“ (Domband, Architektur)
1993–2005Wiss. Angestellter / Wiss. Assistent am Institut für Kunstgeschichte der Universität Mainz (Habilitation: „Memento 1945? Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen in den Westzonen und in der Bundesrepublik Deutschland“)
2007–2012Vertretungsprofessuren an den Instituten für Kunstgeschichte der Universität Mainz (2007–2008) und der LMU München (2010–2012)
seit 2012Professur für Geschichte der Architektur und des Städtebaus am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Transkulturelle Verflechtungsprozesse im hochmittelalterlichen Mediterraneum; Rezeption des Mittelalters einschließlich ihrer bildmedialen Aspekte; Pluralität der Architekturmoderne; Reisen von Architekten/Architektinnen im 20. Jh. insb. von/nach Italien u. Japan; Erster und Zweiter Weltkrieg und die NS-Verbrechen in der Gedenkkultur
Publikationsauswahl
  • S. Nicola in Bari und seine architektonische Nachfolge. Ein Bautypus des 11.–17. Jahrhunderts in Unteritalien und Dalmatien (Römische Studien der Bibliotheca Hertziana 13), Worms 1996 (zugl. Diss. Mainz 1993).
  • Memento 1945? Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen in den Westzonen und in der Bundesrepublik Deutschland (Kunstwissenschaftliche Studien 145), München/Berlin 2008 (zugl. Habil. Mainz 2006).
  • Religiöse Erinnerungsorte in der KZ-Gedenkstätte Dachau / Dachau Concentration Camp Memorial Site. Religious Memorials, 2. Auflage, Berlin/München 2016.
  • (Hg. mit Christian Fuhrmeister) War Graves / Die Bauaufgabe Soldatenfriedhof, 1914–1989, RIHA Journal Special Issue 2017 (https://doi.org/10.11588/riha.2017.1).
  • (Hg. mit Erik Wegerhoff) Blickwendungen. Architektenreisen nach Italien in Moderne und Gegenwart / Shifts in Perspective: Architects’ Travels to Italy in Modern and Contemporary Times (Römische Studien der Bibliotheca Hertziana 44), München 2019.