Das Textile strukturiert einen Raum, überführt von einer zweidimensionalen Fläche in einen dreidimensionalen Körper, kann einen Raum füllen, ordnen, gestalten und (haptische) Sinnhaftigkeit stiften. Die Geschichte des Textilen ist bereits aus multidisziplinärer Sicht analysiert worden, doch ist die konzeptionelle Gestaltung eines Raumes durch sie ein bislang nur marginales Phänomen geblieben. Annäherungen an das Textile im Raum fanden bislang durch Restaurierungsprojekte, kunsthistorische Objektforschung im Museum oder innerhalb der Interieurforschung statt, bei der das Textile oftmals eine untergeordnete Rolle spielte. Doch gerade die jüngsten Ausstellungen zur Textilkunst beziehen den Raum und die Bewegung des Besuchers im Raum als dramaturgisches und dynamisches Mittel ein, wie es Arbeiten von z.B. Chiharu Shiota, Louise Bourgeois oder Magdalena Abakanowicz zeigen. Vereinzelt nahmen kuratorische Auseinandersetzungen Textilien als raumgestaltendes Mittel in den Fokus, wie die Ausstellung „Hinter dem Vorhang“ aus dem Jahr 2016.
Vor diesem Hintergrund beleuchten die ausgewählten Beiträge Textilkunst und textile Gestaltung in ihrer Interaktion mit Raum und Räumlichkeit. Der zeitliche Bogen wird von historischen Ausformungen bis zu aktuellen Tendenzen gespannt. Friederike Quander analysiert die Semantik des Baldachins im Kirchenraum am Beispiel des Schöpfungsteppichs in der Kathedrale von Girona an der Schwelle vom 11. zum 12. Jahrhundert. Verflechtungen von Raumdenken im Textilen und im Städtebau der 1930er Jahre lotet Sandra Neugärtner am Beispiel des Textilentwurfs „Metro“ von Lena Meyer-Bergner aus. Sandra Imko untersucht Räumlichkeit, Materialität, Schutzfunktion und Formen des Widerstandes in der mittel- und osteuropäischen Textilkunst der 1960er Jahre. Der vierte Beitrag widmet sich der Deutung und kuratorischen Praxis von textilen Rauminstallationen der zeitgenössischen chilenischen Künstlerin Cecilia Vicuñas aus einer postkolonialen Perspektive.