Die Sektion nimmt die aktuellen Rekonzeptualisierungen des Begriffs des Formlosen zum Anlass, dessen Relektüren kritisch zu reflektieren. Über die letzten Jahrzehnte wurde Formlosigkeit vielfältig mit gesellschaftspolitischen Aspekten konnotiert (so im Fall der Eccentric Abstraction, Abject Art, Entropie, bis hin, aktuell, des New Materialism) oder aber strukturalistisch-formalistisch, etwa als Informe (Rosalind Krauss, Yve-Alain Bois), gedacht. Entscheidend weitergeführt wurde hierbei das Denken über Formlosigkeit durch gendertheoretische Ansätze, die sich von feministischen hin zu – seit den 1990er Jahren – auch queer- und transtheoretischen Ansätzen erweiterten: Diese Verbindungen zu Geschlechtskonzepten sind ein Hauptmerkmal so genannter Anti-Form. So etwa wertete David Hopkins 2000 Lucy Lippards „exzentrische Abstraktion“ und Robert Morris’ Deklaration der Anti-Form als „weiche“ Antwort auf die „harte maskuline“ Minimal Art, gar als ihre „Feminisierung“ und „Desublimierung“. Diese herkömmliche Bewertung von Post-Minimalismus als „weiche“, „softe“ Gegenreaktion auf die rigiden Formen des Minimalismus – so vielfach zu finden in den Lesarten zu Louise Bourgeois, Eva Hesse oder Lynda Benglis – verdient eine Revision. Ebenso relativiert werden muss die (besonders US-amerikanische) Dominanz der Minimal Art in der traditionellen Kunstgeschichtsschreibung zur Nachkriegskunst, die den Post-Minimalismus zumeist ausschließlich vor der Folie der Minimal Art oder als Unterkategorie derselben denkt. In einer Neubewertung des Materiellen treffen sich in den letzten Jahren Renaissancen des Abjekten, des Taktilen, der Entropie sowie ihre Neudiskursivierungen rund um den sogenannten Neuen Materialismus.
Die Sektion startet mit einem Beitrag über historische Ausformungen der Formlosigkeit ausgehend von der damit einhergehenden Rekonzeptualisierung von textilen Materialien (Crasemann/Röhl). Anschließend werden Lektüren anderer formloser Ausprägungen z. B. in Asien sowie als abjekt bezeichnete Werke nichtkanonischer Künstlerinnen in den Blick genommen (Berger und Kube Ventura). Abschließend sollen Fragen nach dem neuen Materialismus u. a. am Beispiel der Rezeption der Arbeiten von Olga Balema erörtert werden (Khazam). Die Sektion gibt Gelegenheit, über einen bis heute kunsthistorisch nicht eindeutig erfassten, aber hochaktuellen Begriff zu reflektieren.