Sektion des Gastlandes Tschechien:
Barocke Decken­malereien als virtuelle Welt der frühen Neuzeit

Leitung: Martin Mádl, Prag / Ulrike Seeger, Stuttgart/München

Ernst H. Gombrich hat in seinem Buch „Means and Ends. Reflections on the History of Fresco Painting“ (1976) den Unterschied zwischen mittelalterlicher Wandmalerei und der der Renaissance folgendermaßen charakterisiert: Die mittelalterliche Wandmalerei stelle dar, was im Text zu lesen sei, die der Renaissance stelle dar, wie die beschriebenen Ereignisse vor unseren Augen erscheinen könnten, wenn wir sie sehen würden. Gombrich bezeichnet die Malerei der Renaissance als dramatische Evokation. In welchem Maße trifft diese Zielsetzung der suggestiven Erweckung von Ereignissen auf die barocke Wand- und Deckenmalerei zu? Hat man bei der barocken wandfesten Malerei von einem illusionistischen Spiel im Sinne einer bildlichen Inszenierung literarisch überlieferter Ereignisse zu sprechen oder hat man sie als virtuelle Realität zu begreifen, die selbst zum Zweck und Ziel der künstlerischen Bemühungen wird?

Mit welchen Mitteln stellten die Künstler des 17. und 18. Jahrhunderts das dar, was die reale Welt übersteigt, und das, was uns übersteigt? Haben die spezifischen Möglichkeiten der barocken Deckenmalerei wie Verkürzung, Untersicht, Lichtperspektive und räumlich inszenierte Zeitlichkeit die Darstellung transzendentaler Motive befördert oder entwickelten sich die genannten malerischen Techniken und Kunstgriffe anhand der Aufgabe, den Betrachter mittels transzendentaler Motive in seinem Inneren zu bewegen? Welche Rolle kommt hierbei dem Raum zu? Der Raum wird dabei sowohl als realer Ausgangspunkt verstanden, der je nach seiner Funktion und Bedeutung in unterschiedlichem Maße durch die Wand- und/oder Deckenmalerei illusionistisch zu erweitern war, als auch als virtueller, erst in der wandfesten Malerei geschaffener Raum. In der Sektion interessieren wir uns für die spezifische Rolle, die die barocke Deckenmalerei bei der Darstellung transzendentaler Motive spielte.

 

 

Kurzbiografie Martin Mádl
1993–2008Kurator für Glas und Keramik, Nationalmuseum in Prag
2003Promotion in Kunstgeschichte an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität, Prag
since 2003Wiss. Mitarbeiter am Institut für Kunstgeschichte der Tschechischen Akademie der Wissenschaften (IAH CAS), Prag
since 2009Externer Dozent, Institut für Kunstgeschichte, Philosophische Fakultät, Karlsuniversität, Prag
2009–2011Leiter des Förderprojekts „Corpus of Baroque Ceiling Painting in Czech Lands: Giacomo Tencalla and Patornos’ Circle in 1670s–1680s“ (Tschechische Wissenschaftsstiftung)
2012–2014Leiter des Projekts „Corpus of Baroque Ceiling Painting in Czech Lands: Baroque Ceiling Paintings in Benedictine Monasteries“ (Tschechische Wissenschaftsstiftung)
2017–2021Teilnehmer am Stipendienprojekt „The Idea and its Realization: The Art Culture of the Society of Jesus in the Czech Lands“
2021–2023Leiter des Stipendienprojekts „Baroque Ceiling Painting between Theory and Praxis“ (Tschechische Wissenschaftsstiftung)
since 2022Vorsitzender der Forschungsgruppe „Baroque Ceiling Painting in Central Europe“ (BCPCE)
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Barocke Deckenmalerei; barocke Glasherstellung
Publikationsauswahl
  • (mit Anke Schlecht und Marcela Vondráčková) Detracta larva juris naturae. Studien zu einer Skizze Wenzel Lorenz Reiners und zur Dekoration der Klosterbibliothek in Břevnov (Opera minora historiae artium 2), Prag 2006.
  • (Hg. mit Michaela Šeferisová Loudová und Zora Wörgötter) Baroque Ceiling Painting in Central Europe (Proceedings of the International Conference, Brno – Prague, 2005), Prag 2007.
  • (Hg.) Tencalla I–II (Barokní nástěnná malba v českých zemích) [Tencalla I–II, Baroque Ceiling Painting in Czech Lands], Prag 2012–2013.
  • Heiligkreuzlegenden in der böhmischen Wand- und Deckenmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Carla Heussler und Sigrid Gensichen (Hgg.): Das Kreuz. Darstellung und Verehrung in der Frühen Neuzeit (Regensburger Studien zur Kunstgeschichte 16), Regensburg 2013, S. 262–286.
  • (mit Radka Heisslerová, Michaela Šeferisová Loudová und Štěpán Vácha) Benediktini I–II (Barokní nástěnná malba v českých zemích) [Benedictines I–II, Baroque Ceiling Painting in Czech Lands], Prag 2016.
Kurzbiografie Ulrike Seeger
1983–1990Studium der Kunstgeschichte und der Romanistik an den Universitäten Stuttgart, Florenz und Erlangen (Magisterarbeit: „Der Ostchor der Nürnberger Pfarrkirche St. Sebald – Popularisierung eines Heiligen“)
1990–1994Promotion an der Universität Stuttgart („Zisterzienser und Gotikrezeption. Die Bautätigkeit des Babenbergers Leopold VI. in Lilienfeld und Klosterneuburg“)
seit 1996Universitäre Lehre als Lehrbeauftragte, Privatdozentin (Halle), Universitätsassistentin (Stuttgart), Vertretungsprofessorin (Greifswald und Stuttgart) und als Apl. Prof. (Universität Stuttgart seit 2012)
1997–2002Habilitation an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg („Stadtpalais und Belvedere des Prinzen Eugen von Savoyen in Wien. Entstehung, Gestalt, Funktion und Bedeutung“)
seit 2018Wiss. Mitarbeiterin am Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland (CbDD), Bayerische Akademie der Wissenschaften / Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Mittelalterliche Architektur von der Romanik bis zur Spätgotik; europäische Residenzkultur der Frühen Neuzeit; konzeptioneller Zusammenhang von Architektur, Raumfolgen und Innenausstattung; Wand- und Deckenmalerei der Renaissance und des Barock; Architektur und Raumkunst der Klassischen Moderne
Publikationsauswahl
  • Die „Tapisseries du roy“ des Verlags Johann Ulrich Kraus von 1687. Ein Beitrag zum französischen Nachstichwesen in Augsburg vor 1700, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 3, Folge, 61 (2010), S. 69–107.
  • Max Tauts expressionistische Sommerhäuser auf der Insel Hiddensee, dem „geistigste[n] aller deutschen Seebäder“, in: architectura 41 (2011), S. 159–194.
  • L’appartement électoral entre Vienne et Versailles. L’appartement de parade de la résidence princière de Rastatt, in: Thomas W. Gaehtgens (Hg.): Versailles et l’Europe. L’appartement monarchique et princier, architecture, décor, cérémonial, Paris 2017, S. 201–217 (arthistoricum.net 2017).
  • Schloss Ludwigsburg und die Formierung eines reichsfürstlichen Gestaltungsanspruchs, Köln 2020.
  • Die Besonderheiten des Ludwigsburger Bauwesens und ihre Bedeutung für den Nachwuchs Leopoldo Retti und Giovanni Pietro Scotti, in: Christian Schoen (Hg.): Frisoni – Retti – Carlone. Lombardische Künstlerfamilien im Europa des 18. Jahrhunderts, Ansbach 2022, S. 72–91.